2006/02/01

Paradigmenwechsel im Gesundheitssystem

Während früher Sport und Bewegung von Ärzten eher als Prophylaxe zur Vorbeugung von Erkrankungen empfohlen wurden, werden Sport und Bewegung heute zunehmend auch als Therapie bei akuten Erkrankungen eingesetzt.

Dies belegt die Zeitschrift ’Der Spiegel’ mit umfangreich zusammengetragen Forschungsergebnissen in der aktuellen Titelstory von Jörg Blech: ‚Fit wie in der Steinzeit’ In: Der Spiegel, 05/2006, 134- 145

Der Spiegelleser erfährt:

Im bewegungsfaulen Körper stocken die biochemischen Kreisläufe, der Körper bedarf ein Mindestmaß an Aktivität, damit der Stoffwechsel erfolgreich funktioniert.

„Körperliche Aktivität normalisiert nicht nur die biochemischen Kreisläufe, sondern lässt in Organen und Geweben neue Zellen heranwachsen. Das erfuhren die Leipziger Ärzte, nachdem sie 18 Männer mit Raucherbein im Anfangsstadium dazu gebracht hatten, vier Wochen lang jeden Tag einmal auf dem Laufband zu joggen. Obwohl viele von ihnen nach 50 bis 200 Metern schon am Ende ihrer Kräfte waren, bewirkte die Laufkur selbst in ihren malträtierten Körpern Wunderliches: Die Zahl der zirkulierenden Stammzellen verdreifachte sich; und die zellulären Alleskönner machten sich daran, die kaputten Gefäße von innen nach außen zu reparieren.“ (Blech, In Der Spiegel, 5/2006, 142)

Der Psychologe Arthur Kramer von der University of Illinois in Urbana Champaign hat nachweisen können, dass zwischen dem 30. und dem 90. Geburtstag 15 bis 25 % der Gehirnzellen schwinden, wobei die Areale für das Lernen und Erinnern besonders betroffen sind. (vgl. Blech In: Der Spiegel 5/2006, 142)

Durch körperliches Tun können auch im Gehirn neue Zellen entstehen, die Nervenzellen können durch Bewegung wirksamer und leistungsfähiger werden, denn auch das ältere Gehirn ist lernfähig und kann sich Veränderungen anpassen. Der Spiegel zeigt die Ergebnisse einer schwedischen Langzeitstudie auf, in der über 20 Jahre das Bewegungsverhalten der Teilnehmer aufgezeichnet worden war:

„Diejenigen, die im Mittelabschnitt des Lebens wenigstens zweimal in der Woche körperlich aktiv waren, haben ein um 60 Prozent verringertes Risiko, an Alzheimer zu erkranken.“ (Blech in: Der Spiegel: 5/2006, 142)

Dreimal in der Woche eine halbe Stunde körperliche Anstrengung seien nach den Forschungsberichten der amerikanischen Duke University genauso wirksam gegen Missmut und Trauerattacken wie die tägliche Einnahme von Stimmungsaufhellern. (vgl. Blech In: Der Spiegel, 5/2006, 136)

Der Spiegel berichtet, dass beispielsweise der amerikanische Psychiater Wayne Sandler inzwischen etwa die Hälfte seiner depressiven und angstgestörten Patienten mit Bewegungstherapie behandelt und davon überzeugt ist, „dass Bewegung mitunter eine gestörte Gehirnchemie besser ins Gleichgewicht bringt als Medikamente.“ (Blech: In Der Spiegel 5/2006, 134)

Bewegung stärkt auch die körpereigene Krebsabwehr: „Inaktive Menschen haben ein um 50 Prozent erhöhtes Risiko, von Dickdarmkrebs heimgesucht zu werden.“ (Blech In: Der Spiegel, 5/2006 137)

Jeffrey Meyerhardt vom Dana-Farber Cancer Institute in Boston hat 816 Menschen mit Dickdarmkrebs zwei bis drei Jahre nach ihrer Behandlung (Operation und Chemotherapie) darauf abgecheckt, wie sehr sie sich körperlich bewegt hatten. Der Spiegel stellt das Ergebnis vor: „Jene Menschen, die beispielsweise zwei bis drei Stunden pro Woche joggten, hatten deutlich weniger Rückfälle.“ (Blech In: Der Spiegel, 5/2006, 145)

Die Epidemiologin Michelle Holmes vom Brigham & Women’s Hospital in Boston kam zu dem Ergebnis: Drei bis vier Stunden in der Woche spazieren gehen können das Risiko, an Brustkrebs zu sterben, um 50 Prozent verringern. (vgl. Blech In: Der Spiegel, 5/2006, 145)

Die Wahrscheinlichkeit an einer stabilen chronischen Herzinsuffizienz zu sterben, könne entsprechend einer Überblickstudie durch Sport um etwa 35 Prozent gesenkt werden. (vgl. Blech In: Der Spiegel, 5/2006, 136)

Wer sich rege bewegt, lebe statistisch 7 Jahre länger als der träge Mensch.

“Die Sterblichkeitsrate träger Menschen liegt bis zu einem Drittel höher als jene reger Vergleichspersonen. Ein Senior, der jeden Tag eine Meile (1,6 Kilometer) weniger spazieren geht als sein gleichaltriger Nachbar, wandert – bei sonst gleichen Risiken – sieben Jahre früher ins Grab.“ (Blech In: Der Spiegel, 5/2006, 136)

Bewegung hilft auch bei Diabetes. Jörg Blech erläutert in seinem Artikel: Nur aktive Muskeln können dem Blutstrom Glukose entziehen, inaktive Muskeln schaffen das nicht. Wenn die Bauspeicheldrüse inaktive Muskeln durch übermässige Insulinproduktion ersetzt, dass die eigenen Körperzellen gegen das Homon resistent werden, kann der Zuckerstoffwechsel zusammenbrechen und der Mensch an Diabetes erkranken. Dauerhaft überhöhte Blutzuckerkonzentration im Blut schädigen die Gefäße, führen zu Kreislaufschwäche, Zuckerkoma und womöglich zur Erblindung. (vgl. a.a.O)

Auch das im ’Annals of Internal Medicine’ veröffentlichten Ergebnis einer 5-jährigen Untersuchung von knapp 10 000 Frauen über 65 Jahre wird präsentiert: „Diejenigen, die pro Woche etwa zwei Stunden lang ihren Körper trainierten, hatten 36 % weniger Hüftfrakturen als träge Seniorinnen.“ (Blech In: Der Spiegel, 5/2006, 140)

Aktivierte Muskeln erhöhen sogenannter Radikalfängerenzyme. „Diese Enzyme vernichten Sauerstoffradikale, die den Herzmuskel schädigen und die Pumpschwäche maßgeblich bewirken. Im Klartext: Durch Fahrradfahren und Spazierengehen kann ein Herzpatient seine Krankheit direkt auf der molekularen Ebene bekämpfen.“ (Blech In: Der Spiegel, 5/2006, 142)

Die Datenlage ist nicht nur für Jörg Blech eindeutig: Bewegung ist in der heutigen Therapie zunehmend angesagt.

Dabei bleibt aber auch eins nicht ungesagt:

Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, die Menschen zum Mitmachen zu bringen!
Die von Jörg Blech im Spiegel präsentierten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse können aufzeigen, wie notwendig gerade vor diesen Daten die handlungsaktivierende Therapien sind.

Professor Dr. Dr. Karl Hörmann von der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS-Köln) schreibt der Handlungsaktivierung in den Künstlerischen Therapien eine zentrale Rolle zu. Dies gilt nicht zuletzt auch für den Transfer des in der Therapie Erworbenen.

In der wissenschaftsorientierten Musiktherapie als Angewandten Musikpsychologie beschreibt Hörmann 'Diagnostik', 'Erlebnisintensivierung' und 'Handlungsaktivierung' als zentrale Prinzipien seiner multimodalen Musiktherapie.

Diagnostik und Erlebnisintensivierung entfalten doch gerade erst im Zusammenspiel mit der Handlungsaktivierung ihre volle therapeutische Wirksamkeit. Auf eine Handlungsaktivierung in der Therapie darf daher auch keineswegs verzichtet werden. (vgl. Hörmann, 2004, 288ff.)

Eine Handlungsaktivierung im multimodalen Sinne hat nur sehr wenig mit dem bloßen Reden zu tun. Sprechen ohne zu Handeln bleibt leeres Geschwätz und führt meist zu nichts, bloßes Sprechen kann als Ersatzhandlung verstanden werden, die nicht zu verwechseln ist mit echten Handlungen, bei denen der Klient mit seinem ganzen Leib aktiv dabei ist. vgl. (Hörmann, 2004)

Als begnadete Expertin der Handlungsaktivierung sei auch die Meisterschülerin von Professor Dr. Dr. Karl Hörmann genannt: Die Musik- und Tanztherapeutin Dr. Yolanda Bertolaso beschreibt ihre handlungsaktivierende Methode des Resilienz-Coachings basierend auf der RES-Bewegungsbeobachtung nach Karl Hörmann in 'Resilienz in Pädagogik und Künstlerischer Tanztherapie' (vgl. Bertolaso, 2004, insbesondere 157 ff.).

Doch auch nicht unerwähnt bleiben soll das alte sozialarbeiterische Prinzip ’Hilfe zur Selbsthilfe’, welches mit dem Paradigmawechsel zur Handlungsaktivierung eine erneuerte Aufmerksamkeit erfahren wird.

Die von Jörg Blech zusammengestellten Forschungsergebnisse in der Zeitschrift Der Spiegel weisen darauf hin, dass sich das Gesundheitssystem im beginnenden 3.Jahrtausend vom Bild der passiven, Gesundheitsleistungen konsumierenden, Konsumenten verabschieden muss. Dem Stand der Forschung entsprechend gilt es nun darauf hin zu wirken, Patienten wieder zu aktivieren!

ZUr Diskussion werden hier zwei Gedanken dargelegt:

1.) Therapeuten, die ausschliesslich dazu neigen, ihre Patienten stillzulegen, sind nicht mehr gefragt.

2.) Die Bedeutung des übermässigen Einsatzes von Pillen muss reflektiert und womöglich in Zukunft neu gewichtet werden. Hierzu bedarf es noch weiterer Forschungen. Ein wichtiger erster Schritt erfolgte zunächst durch die Veröffentlichung dieses Artikels von Dirk Blech in der renomierten Zeitschrift 'Der Spiegel'. Aufgrund des hohen wissenschaftsjournalistischen Niveaus der Zeitschrift 'der Spiegel' ist diese Publikationen besonders hervorzuheben. Dies gilt gerade für das Ausmaß der öffentliche Beachtung. Das Musiklabor sieht hier einen Lichtblick für die Zukunft. Denn es gilt auch von der Psychopharmakaindustrie unabhängige Forschungsergebnisse zu etablieren.

Kurz: Die Zeitschrift Der Spiegel weist mit dem Artikel von Jörg Blech einen klaren Blick in die zu begehende Zukunft: Leben bedeutet sich bewegen und durch die eigene Bewegung können wichtige Selbstheilungskräfte genutzt werden, die den Menschen beleben.

Quellen:

Blech, Jörg (2006) Fit wie in der Steinzeit. In: Der Spiegel, 05/2006, 134-145

Bertolaso, Yolanda (2004) Resilienz in Pädagogik und Künstlerischer Tanztherapie. Münster: Paroli

Hörmann, Karl (2004) Musik in der Heilkunde. Lengerich: Pabst Science Publishers.

Musik in der Heilkunde

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