Musik bietet auch dem intellektuellen Geist ein nahrhaftes Vergnügen. Dies gilt, wie der Physiker Douglas R. Hofstadter in seinem wohl bekanntesten Werk aufzeigt, besonders für die Musik von Johann Sebastian Bach.
“Von den Kanons im Musikalischen Opfer ist einer ganz besonders ungewöhnlich. Er ist einfach mit „Canon per Tonos“ überschrieben und dreistimmig. Die oberste Stimme singt eine Variation des Königlichen Themas, während unter ihr zwei Stimmen eine kanonische Harmonisierung ergeben, die auf einem zweiten Thema basieren. Die untere dieser beiden Stimmen singt ihr Thema in c-Moll (der Tonart des ganzen Kanons), und die obere Stimme dieses Paares singt das gleiche Thema, in der Tonhöhe um ein Intervall einer Quinte nach oben verschoben. Was diesen Kanon jedoch von allen andern unterscheidet, ist, daß er, wenn er zu Ende ist – oder vielmehr zu Ende zu sein scheint – nicht mehr in der Tonart c-Moll, sondern nunmehr in d-Moll ist.Irgendwie hat Bach es fertiggebracht, vor den Augen des Hörers zu modulieren, d. h. von einer Tonart zur andern zu überzuwechseln. Und der Kanon ist so konstruiert, daß dieses „Ende“ sich reibungslos wieder an den Anfang anschließt; so kann man also den Prozeß wiederholen und nach E-Dur gelangen, um wiederum an den Anfang anzuknüpfen. Sukzessive Modulationen führen das Ohr in immer weiter entfernte Gebiete der Tonalität, so daß man nach einigen Modulationen erwarten würde, sich hoffnungslos weit von der Ausgangstonart entfernt zu befinden. Und doch ist, wie durch Magie, nach genau sechs solchen Modulationen die ursprüngliche Tonart von c-Moll wieder erreicht! Alle Stimmen sind genau eine Oktave höher, als sie zu Beginn waren, und an diesem Punkt kann das Stück auf musikalisch sinnvolle Weise abgebrochen werden. Wie man sich vorstellen kann, war das Bachs Absicht, aber er fand ohne Zweifel auch an der Implikation Gefallen, daß sich dieser Prozeß ad infinitum fortsetzen läßt, und vielleicht hat er deshalb an den Rand geschrieben: „Wie die Modulation steigt, so möge es auch der Ruhm des Königs tun.“ Um zu betonen, daß dieser Kanon in die Unendlichkeit verweist, nenne ich ihn den „Endlos Reduplizierten Canon“. Mit diesem Kanon gibt uns Bach unser erstes Beispiel einer Seltsamen Schleife. Dieses Phänomen trifft immer dann ein, wenn wir uns durch die Stufen eines hierarchischen Systems nach oben (oder nach unten) bewegen und uns dann unerwartet wieder genau an unserem Ausgangspunkt befinden.“ (Hofstadter, 1991, 11 f.)
Quelle:
Douglas R. Hofstadter (1991) Gödel Escher Bach ein Endlos Geflochtenes Band. (amerik. Originalausgabe 1979) München dtv/Klett-Cotta
2006/01/15
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