2006/01/13

Akustik und ihr Stellenwert für die Musik

Musik ist keine Einbahnstraße. Das Komponieren von Musik erfordert die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.

"Jeder Zeitschlag in einem rhythmischen Muster stellt eine neue Wahlsituation dar für das, was dann kommt: ein neuer Klang oder die Fortführung eines alten oder eine Pause; ein einzelner neuer Ton oder eine Gruppe von Tönen; ein Schlagzeugklang oder ein tonhöhenbestimmter Klang eines Melodieinstruments; die Tonhöhe kann in zahlreichen Intervallen von der vorhergehenden abweichen oder gleichbleiben. All diese Entscheidungen lassen erst ein Stück entstehen." (Hall, 1997, 134)

Donald E. Hall, einer der zeitgenössischen Nachfolger des im Musiklabor bereits erwähnten Hermann von Helmholtz, veröffentlichte sein Handbuch 'Musikalische Akustik' mit der Bemerkung:

"Das Studium der musikalischen Akustik wäre schwerwiegend beschnitten, wenn nicht psychologische und künstlerische Erkenntnisse gleichwertig mit physikalischen behandelt würden." (Hall, 1997, 13)

Hall hofft, dass seine Leser mit fortschreitendem Stadium oft über die Wechselwirkung zwischen diesen drei zentralen Gesichtspunkten nachdenken und er beabsichtigt mit seinem Werk zum Verständnis darüber beizutragen, wie Musik funktioniert. (vgl. a.a.O.)

Hall unterteilt sein Thema in drei größere Bereiche:

1. Klang-Erzeugung
2. Klang-Übertragung
3. Klang-Wahrnehmung und Klang-Verarbeitung

Wie Hermann von Helmholtz beschäftigt sich auch Donald E. Hall mit physikalischen Grundkonzepten, Schwingungen, Eigenschwingungen, Resonanz und Welleneigenschaften, wie auch mit Ohr- und Hörwahrnehmungen. Auch Hall stellt Ergebnisse der Forschung zur Akustik konkreter Musikinstrumente vor. Hier geht es um Blasinstrumente, Streichinstrumente, Schlaginstrumente und die menschlichen Stimme. Hinzu kommen dannaber auch elektronische Klangerzeuger. Raumakustik und die Freiluftakustik werden auch behandelt.

In Auswahl und Darstellung der Inhalte hat sich natürlich einiges geändert, so verwendet Hall beispielsweise Diagramme, mit denen sowohl die unterschiedlichen Obertöne wie auch die Intensität der einzelnen Obertöne übersichtlich dargestellt werden können.

Bei der Betrachtung solcher Darstellungen lohnt sich allerdings die Erinnerung an das Wissen, dass die Lebendigkeit der Klänge nicht zuletzt auch durch die Veränderung der Intensität der Obertöne im zeitlichen Verlauf gekennzeichnet ist. Und wer Helmholtz aufmerksam studiert hat, findet eine reich differenzierte und anschaulich dargestellte Forschungsleistung, aus der nicht nur aufgrund der zugänglichen Darstellungsart, sondern auch aufgrund der Differenziertheit und des enormen Umfanges der Forschung auch heute noch mit gutem Gewinn geschöpft werden kann.

Doch zurück zu Donald E. Hall. Vertiefte und erweiterte Forschung, die auch für Schlagzeuger und Percussionisten von erheblichem Interesse sein dürften, sind beispielsweise die photographischen Darstellungen einer vibrierenden Plastikmembran im Zusammenhang mit der Analyse der ersten zehn Eigenschwingungsarten einer idealisierten gespannten Membran im Kapitel Trommel, Becken und Glocken. (vgl. Hall, 1997, 177 ff.)

Ein weiteres Werk zur Akustik bietet das 1972 erstmals erschienene und 1995 in der 3. Auflage umfangreich überarbeitete und aktualisierte Buch ' Akustik und musikalische Aufführungspraxis von Jürgen Meyer.

Die erste Gliederungsebene des Werkes kann bereits den Reichtum dessen anzudeuten, was in dieser wissenschaftlichen Arbeit geboten wird:

1. Einführung in die Akustik
2. Das musikalische Klangbild
3. Die Klangeigenarten der Musikinstrumente
4. Die Richtcharakteristiken der Musikinstrumente
5. Grundlagen der Raumakustik
6. Akustische Eigenschaften alter und neuer Aufführungsstätten
7. Die Sitzordnung im Konzertsaal
8. Akustische Gesichtspunkte für Besetzung und Spielweise
9. Akustische Probleme im Opernhaus.

Hier werden Schallleistungsspektren zur Beschreibung der Klangeigenschaften präsentiert. Die klanglichen Zeitstrukturen werden durch dreidimensionale Spektren veranschaulicht, berücksichtigt wird dabei insbesondere auch das Ein- und Ausschwingverhalten sowie das Vibrato. Für den Richtfaktor von Gesangs- und Instrumentalstimmen werden Forschungsergebnisse geboten. Ein besonderes Lob darf auch für die aufwändige und sinnvolle graphische Gestaltung ausgesprochen werden, wodurch ein schnelles vertieftes Verständnis erleichtert wird.

Fragen der Akustik sind nicht nur für Architekten interessant. Wer sich mit Musiktherapie und Musikpädagogik beschäftigt, hat genügend Anlässe die Akustik zu beachten. Davon kann auch die pädagogisch/therapeutische Arbeit profitieren. Wer mit den Gesetzen der Akustik vertraut ist, hat auch mehr zu bieten. Dies gilt nicht nur, wenn es darum geht, die Raumakustik zu verbessern. Die hier gewonnenen Einsichten können auch zu einem verbesserten Musizieren führen. Darüber hinaus lässt sich erworbenes Wissen auch weitervermitteln.

Es gilt noch einmal darauf hinzuweisen: Musiktherapie und Musikpädagogik verfolgen keine Einbahnstraße! Im Gegenteil, die Arbeit mit Musik sollte auch die Perspektive erweitern, und einen Blick auf mögliche Abbiegungen, Querstraßen, alternative Wege und und auf Seitenwege eröffnen. Kurz: Musik sollte auch dazu genutzt werden, in den Reichtum der menschlichen Kultur einzuführen.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, das es auch gilt, sich bewusst zu machen, dass nicht jede wissenschaftliche Erkenntnis Eingang in die nachfolgende wissenschaftliche Literatur findet. Dies gilt natürlich erst recht auch für die Praxis. Musikpädagogen und -therapeuten forschen - wenn überhaupt - dann erst in zweiter Linie, denn die pädagogische bzw. die therapeutische Arbeit steht hier i. d. R. im Vordergrund. Dies gilt nicht nur für unsere Disziplin, qualifiziertes Wissen erreicht beispielsweise auch nicht jeden Architekten, denken wir allein an die desolate Akustik mit der unserer Politiker beim Umzug von Bonn nach Berlin konfrontiert wurden.

Gerade für Musiker und bei der Arbeit mit Musik sind die Eigenschaften des Raumes von immenser Bedeutung.

"Die akustischen Eigenschaften des Raumes wirken sich nicht nur hinsichtlich des durchschnittlichen Lautstärkeniveaus der einzelnen Dynamikstufen aus, sondern beeinflussen auch die Feinstruktur des dynamischen Ablaufes und dabei natürlich insbesondere die Tonentwicklung der Toneinsätze und das Abklingen der Töne." (Meyer, 1999, 284)

Das Wissen und Können der hervorragendsten Akustiker der vergangener Jahrhunderte, deren Zeugnis durch akustisch hervorragenden Konzerthallen und Kirchen bewertet werden kann, vermag vielleicht Anlaß zu geben sich vor einer simplifizierten Fortschrittsgläubigkeit zu hüten. Alte Meister können oft noch ein As aus dem Ärmel ziehen. Zu den alten Meistern darf auch Hermann von Helmholtz gezählt werden, auch er bietet weiterhin noch Bedeutsames. Letztlich ist es doch oft noch die Qualität, auf die es ankommt.

Quellen:

Hermann von Hemholtz (1913) Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlagen für die Theorie der Musik. 6. Aufl. (1. Aufl. 1862) Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn.

Hall, Donald E. (1997) Musikalische Akustik Ein Handbuch. (amerk. Originalausgabe 1991) Mainz: Schott.

Meyer, Jürgen (1999) Akustik und musikalische Aufführungspraxis. Leitfaden für Akustiker, Tonmeister, Musiker, Instrumentenbauer und Architekten. 4. Aufl. (1. Aufl. 1972) Frankfurt am Main: Verlag Erwin Bochinsky

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