2005/11/25

Direkte und indirekte Methoden der Musiktherapie

In ihrem Bericht 'Entwicklung und Stand der amerikanischen Musiktherapie' aus dem Jahr 1958 berichten Dr. phil. Hans A. Illing und Lois A. Benedict über die 1950 in Amerika gegründete NAMT (National Association for Music Therapie) und kommen dabei zu dem Schluß:

"Man kann wohl ohne allzu große Verallgemeinerung sagen, daß es heute nur sehr wenige Musiktherapeuten gibt, die eine reguläre Ausbildung und Examina haben." (Illing, Benedict, 1958, 26)

Aus dem Zusammenschluss der NAMT und der AAMT (American Assocation for Music Therapie) ging übrigens 1998 die AMTA (American Association for Music Therapy), Homepage: www.musictherapy.org hervor.

Weiterhin berichten Illing und Benedict:

"In Irrenanstalten wurde von freiwilligen Hilfskräften oder Ärzten schon sehr früh versucht, durch Musik bei den Patienten eine Art Zerstreuung zu erzielen. Dabei wurde erkannt, daß musikalische Reize in der Lage sind, physiologische, psychologische und soziologische Änderungen herbeizurufen. ... So wurde erkannt, daß die physiologischen Effekte der Musik Senkung und Erhöhung des Pulses, des Blutdrucks, der Atmung, des Stoffwechsels und der Muskelspannung bewirken, während sich die psychologischen Effekte in veränderter Stimmung, erhöhter Aufmerksamkeit und einer größeren Aufgeschlossenheit für andere Formen der Therapie bemerkbar machten. Musik ist durchaus in der Lage, auch schwere Hemmungszustände des Patienten zu durchbrechen." (Illing, Benedict, 1958, 27)

Unter dem Kapitel 'Biographische Notizen der Mitarbeiter' findet sich:
"LOIS A. BENEDICT
wurde 1911 in Bradenton, Florida geboren. Sie besuchte die University of Southern California, wo sie 1948 das Diplom eines "Bachelor Degree" in Musik erhielt. Ihre musikalische Tätigkeit, die nicht nur auf dem Einfluß ihrer akademisch gebildeten Eltern, sondern weit mehr auf einen "inneren Drang" beruht, läßt sich bis in ihre Jugendzeit zurückführen. So spielte sie bereits mit 15 Jahren als Pianistin in Orchestern und begleitete viele Berufssänger und Instrumentalisten. Nach Absolvierung der University of Southern California hat sie ein Jahr lang als Musikvorsteherin in Schulleben von Los Angeles eine führende Rolle gespielt. Danach arbeitete sie zwei Jahre als Musiktherapeutin in umliegenden Staatskrankenhäusern, in der Jugenderziehungsanstalt des Strafgerichtshofes von Los Angeles und mehreren Privatsanatorien. 1951 eröffnete sie eine Privatpraxis, um dann von 1953 an im Stadtgefängnis und dem allgemeinen Krankenhaus von Los Angeles tätig zu sein. Sie ist Mitglied des Aufsichtsrates der National Association for Music Therapy (NAMT) und Gründerin sowie erste Präsidentin der NAMT-Zweigstelle in Los Angeles." (Teirich, 1958, 184).

Der 1913 in Berlin geborene und promovierte Dr. Phil Hans A. Illing, der 1938 in die Vereinigten Staaten übersiedelte, "hatte als Sozialwissenschaftler wie auch als Praktiker in vielen Wohlfahrtsgesellschaften, Krankenhäusern und Kliniken gearbeitet." (Teirich, 1958, 188).
Dr. Illing war Mitglied der Goethe-Gesellschaft und zählte zu den Gründern und Aufsichtsratsmitgliedern der 'Group Psychotherapy Association of Southern California und gehörte "ferner der American Group Psychotherapy Association an, die zu der Zeit fast 1000 Mitglieder umfaßt." (Teirich, 1958, 188)

Die beiden Autoren sprechen in diesem, historisch für die Musiktherapie bedeutsamen Artikel, noch von direkten und indirekten Methoden:

"Andere Autoren sprechen von direkten und indirekten Methoden. Die erste wird deshalb direkt genannt, weil hier die Musik vom Patienten selbst produziert wird, wobei es gleichgültig ist, ob er dies allein oder in Begleitung eines Orchesters, eines Chores usw. tut. MITCHEL hat nachgewiesen, daß allein die Befriedigung, selbst Musik zu machen, viel zur Besserung eines Patienten beiträgt. Bei der indirekten Methode des Zuhörens ist der jeweils erzielte Effekt einigermaßen bekannt; wir kennen in der Literatur nun doch bereits bestimmte Musikstücke, die z.B. beruhigend oder erregend wirken. Bei der direkten Methode ist der Erfolg schwer festzustellen, da das individuelle schöpferische Erlebnis wissenschaftlich nicht untersucht werden kann." (Illing, Benedict, 1958, 30)

Weiterhin beschreiben die Autoren Anwendungen des Iso- und Level-Prinzips, denen die Autoren 1958 eine besondere Bedeutung unter den verschiedensten Theorien und Praktiken zur Musiktherapie in den Vereinigten Staaten zuschreiben.

Auch die projektive Methode (Kindermusiktherapie) von D. Brin Crocker, die als eine der führenden Musiktherapeutinnen Amerkas präsentiert wird, wird von den Autoren skizziert.

Auch heute noch erscheint dieser Aufsatz lesenwert, er wirft etwas Licht in die Geschichte der noch jungen wissenschaftlichen musiktherapeutischen Disziplin und läßt erkennen, dass vieles in der neueren Literatur zur Musiktherapie bereits eine 50-jährige Tradition hat und in der wissenschaftlichen Literatur publiziert worden ist.

Natürlich hat sich die Forschung in den letzten 50 Jahren enorm weiterentwickelt. Doch auch der Blick in ältere Literatur kann Interessantes bieten. So wird beispielsweise in der methodischen Arbeit weiterhin auf das Iso- und Level-Prinzip verwiesen. Dabei wird das Verständnis des Prinzips oft vorausgesetzt und nicht jeder Autor stellt die Arbeitsweise nach diesem musiktherapeutischen Prinzip so nachvollziehbar wie Dr. Yolanda Bertolaso (2004) in der methodischen Darstellung ihrer Arbeit in 'Resilienz in Pädagogik und Künstlerischer Tanztherapie'.


Was allerdings vor 50 Jahren noch als direkte und indirekte Methode bezeichnet wurde, wird in der moderneren Literatur allerdings eher als aktive und rezeptive Musiktherapie differenziert.

Quellen:
Illing, Hans A.; Benedict, Lois A. (1958) Entwicklung und Stand der amerikanischen Musiktherapie. In: Teirich, H.R. (Hg.) Musik in der Medizin, Stuttgart: Gustav Fischer

Bertolaso, Yolanda (2004) Resilienz in Pädagogik und Künstlerischer Tanztherapie. Münster, Paroli.

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