In 'Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und
Erleben im neuronalen Netzwerk' präsentiert Manfred Spitzer Forschungsergebnisse zur Musik und zur Wahrnehmung derselben. Das flexible Gehirn passt sich den zu verarbeitenden Informationen beständig
an. Üben lohnt sich. "Je besser man sich in einem bestimmten
Sachgebiet auskennt, umso genauer verarbeitet man eine dieses Sachgebiet
betreffende Information. ... Fachleute zeichnen sich somit dadurch aus, dass
sie eingehende Informationen mit sehr viel bereits vorhandenen Informationen verknüpfen."
(Spitzer, 2002, 187) Zu denken gibt jedoch: "Das Ausmaß an Erfahrungen, das ein Mensch
mit Musik hat, wirkt sich auch aus auf die Art, wie er Musik im Kopf
organisiert." (Spitzer, 2002, 211)
Niemand muss Musik studieren um Musik zu
hören und mit ihr etwas anfangen zu können. "Ohne jegliche bewusste
Anstrengung kann fast jeder beim Hören von Musik die räumlich-zeitlichen Muster
von an das Ohr dringender mechanischer Energie in Melodien, Harmonien und
Rhythmen übersetzen. Er benutzt hierfür ein hohes Maß an gespeicherten
Informationen über harmonisch schwingende Körper, Tonverhältnisse, Tonalität
und wird zudem an frühere Ereignisse erinnert sowie in eine bestimmte Stimmung
versetzt." (Spitzer, 2002, 212)
Musik wird mit dem ganzen Körper wahrgenommen.
"Macht jemand Musik, so ist ... oft sein ganzer Körper "dabei".
Es wundert daher nicht, dass neueste Studien zur Repräsentation von Musik im
Gehirn ergaben, dass praktisch das gesamte Gehirn zur Musik
beiträgt." (Spitzer, 2002, 212)
Körperliche Bewegung kann mit rhythmischer Musik
sehr leicht angeregt werden. "Akustische rhythmische Stimuli
aktivieren Motorprogramme also stärker als visuelle rhythmische Stimuli."
(Spitzer, 2002, 221)
Mit Rudolf Labans System der Bewegungsbeobachtung
und der Rhythmisch-Energetischen Strukturanalyse (RES) von Karl Hörmann können
Bewegung und Bewegungsbeobachtung in der Musiktherapie geschult werden. Die
multimodale Musiktherapie lenkt die Aufmerksamkeit zunächst vom kognitiven
Modus (Denken)wieder zurück zur Wahrnehmung des mit Sinnen ausgestatteten
menschlichen Körper. Die Schulung der Wahrnehmung erfolgt in der Hörmann'schen
Musiktherapie zugleich mit der Ausbildung und Schulung des Bewegungsapparates.
Das Buch 'Tanzpsychologie und Bewegungsgestaltung' (Hörmann, 2000) bietet
bereits ausreichend Material und Anregung zur Gestaltung eigener aktivierender
Settings. Die Theorie zur Bewegungsschulung und ein vertiefendes Verständnis
für die choreographische Arbeit liefern 'Choreutik. Grundlagen der
Raum-Harmonielehre des Tanzes (Laban, 1991) und 'Kinetografie - Labanotation.
Einführung in die Grundbegriffe der Bewegungs- und Tanzschrift' (Laban, 1995, 1
. Aufl. 1955). Theorie und Praxis der Hörmann'schen Musiktherapie wird in
'Musik in der Heilkunde' (Hörmann, 2004) vertieft. Hier findet sich auch noch
einmal eine Anleitung zur Bewegungsbeobachtung in komprimierter
Form. "Körperattitüde: Zustand und primärer Einsatz des
Körpers und von Körperpartien, führender Körperteil, Ausrichtung, vorwiegendes
Shaping, Spannungslinien, Spannungspunkte, tote Stellen, erstarrte Muster,
verharrend oder bewegt? Phrasierungen in Körperpartien und Mustern:
meist vorbereitend, im Hauptthema, in Auflösungen, in Übergängen? Bevorzugte
Haltung beim Liegen, Beugen, Sitzen und Stehen? Schattenbewegungen?"
(Hörmann, 2004, 174 ff)
Gehirnforschung (Spitzer) wie musiktherapeutischen
Forschung (Hörmann) verweisen auf die hohe Bedeutung der Multimodalität
(Nutzung aller Sinne) und des Übens (Wiederholung) für die Ausbildung von
Fähigkeiten (ressourcenorientierte Arbeit). Spitzer betont, wie oben gesehen,
auch die hohe Bedeutung rhythmischer Stimuli für die motorische Aktivierung.
Für ein vertiefendes Verständnis empfiehlt sich aber auch 'Einfach Üben. 185
unübliche Überezepte für Instrumentalisten von Gerhard Mantel, denn dieses
hervorragende Buch bietet weit mehr als nur eine stattliche Anzahl von
Überezepten, denn Mantel weiß auch die vorgeschlagenen Bewegungen (Funktionsbewegungen,
Sensibilisierungsbewegungen, Ausdrucksbewegungen und Verknüpfungsstrategien
nicht nur gut zu erklären, sondern auch zu begründen.
Den größten Umfang an Forschungsstudien liefert
dennoch das Buch von Spitzer. Es eignet sich daher gerade für die wissenschaftlich
Interessierten besonders gut als Nachschlagewerk zur Musikforschung.
"Musik wird nicht nur mit dem Kopf gemacht und
erlebt, sondern auch mit dem Körper. Dies zeigt sich am besten im Rhythmus, der
uns zwar allen nicht im Blut liegt, aber doch im Körper, genauer in dessen
motorischen System." (Spitzer, 2002, 227) "Auch sind wir bei der
Wahrnehmung so auf Rhythmen eingestellt, dass wir diese wahrnehmen, selbst wenn
sie gar nicht da sind. Ein gleichförmiger wiederholter Reiz wird rhythmisiert,
wobei es sich um einen Gestaltwahrnehmungsprozess mit ganz bestimmten
Randbedingungen handelt.
Es ist davon auszugehen, dass die Zeitkonstanten
der an der Wahrnehmung von Rhythmus beteiligten Gedächtnisprozesse
(Echogedächtnis, Arbeitsgedächtnis) nicht zufällig zu den Zeitkonstanten der
genannten körperhaften Rhythmen passen. Vielmehr kann man vermuten, dass sich
die zeitlichen Charakteristika der Gedächtnistypen aus den körperlichen
Randbedingungen (also auf der Physik dessen, was auf der Output-Seite zu steuern
ist) evolutionär ergaben. Die Physik des Körpers bestimmte die Physiologie
seiner Steuerung, und beides wiederum die Physiologie seiner Wahrnehmung.
Dies zeigt sich nirgends deutlicher als beim Tanz,
der Körper und Geist unmittelbar vereint." (Spitzer, 2002, 227)
Spitzer nutzt einen wissenschaftlichen Stil. Er schreibt technisch, nicht lyrisch, regt kognitiv an. Einen zentralen Unterschied sieht Spitzer zwischen dem Lernen von Fakten (episodisches Lernen) und dem Üben von Fähigkeiten (prozedurales Lernen). Spitzer verdeutlicht die Nachteile der Lernstrategien, die das Kognitive überbetonen.
Spitzer nutzt einen wissenschaftlichen Stil. Er schreibt technisch, nicht lyrisch, regt kognitiv an. Einen zentralen Unterschied sieht Spitzer zwischen dem Lernen von Fakten (episodisches Lernen) und dem Üben von Fähigkeiten (prozedurales Lernen). Spitzer verdeutlicht die Nachteile der Lernstrategien, die das Kognitive überbetonen.
"Das Lernen von Fakten
geschieht prinzipiell sehr rasch. Wenn ich gut motiviert bin und mich für eine
Sache wirklich interessiere, lerne ich Fakten sozusagen auf einen Schlag. ...
Das Lernen von Fakten muss man daher im Grunde gar nicht eigens lernen. Nur
wenn man es mit sehr vielen Fakten zu tun hat und das Lernen noch dazu
langweilig ist (oder es dem Schüler zumindest so erscheint, vielleicht, weil er
den Sinn nicht sieht), bedarf es einiger Tricks wie Eselsbrücken und
gelegentlicher Wiederholungen oder Befragungen, um das Lernen zu beschleunigen.
...
Ganz anders steht es um das prozedurale Lernen, das
Üben. Wer das Radfahren, Jonglieren, Tanzen oder Seiltanzen lernt, der muss
sehr lange üben, bis er die Fähigkeit perfekt beherrscht. Beim Erlernen von
Musikinstrumenten ist dies nicht anders. " (Spitzer 2002, 315 f.)
"Manche Kinder haben mit dem Üben Probleme,
insbesondere dann, wenn sie nicht gewohnt sind, dass man auch langsam und
graduell lernen kann. Dies ist gerade bei begabten, intelligenten Kindern nicht
selten der Fall. Sie begreifen beispielsweise in der Schule alles sofort und
haben daher kein Gefühl für langsames Lernen. ...
Man sagt in solchen Fällen manchmal über die rasch
frustrierten Kinder, sie hätten das Lernen nicht gelernt. Das ist richtig,
sollte aber ergänzt werden: Sie haben nicht gelernt, dass es einen Unterschied
zwischen dem Begreifen eines Zusammenhangs (meist sprunghaftes explizites
Lernen) und dem Aneignen einer Fähigkeit (graduelles implizites Lernen) gibt.
Das Begreifen geht bei Begabten sehr schnell. Dies
hat ungünstige Folgen, wenn es als Modell für das Lernen überhaupt (und damit
auch für das Üben) betrachtet wird." (Spitzer, 2002, 325)
"Egal, ob wir Autofahren oder Klavierspielen
lernen, der Vorgang ist der gleiche: Zunächst müssen wir jede Einzelheit
bewusst planen, und wir sind in Anbetracht der Komplexität der Bewegung (z.B.
beim Schalten oder bei einem raschen Arpeggio) nahezu überfordert. Nach dem
Lernen läuft das Arpeggio flüssig und wir meistern das Fahren spielend -
während wir uns dabei zu allem Überfluss noch unterhalten." (Spitzer,
2002, 326)
Wird das Faktenlernen über- und das prozedurale Lernen unterschätzt, werden zwar gewisse intellektuelle Fähigkeiten gefördert, das multimodale Potential im Lernprozess jedoch bleibt ungenutzt. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob nicht auch Aspekte der körperliche Präsenz im Lernprozess berücksichtigt und genutzt werden sollten. Immerhin bieten Lehrer, Pädagogen und Therapeuten ein multimodal wahrnehmbares Modell für ihr mit Sinnen ausgestattetes Klientel.
"Ob sie es wollen oder nicht, die Eltern sind
in jedem Fall Modell für die Kinder. Üben oder musizieren Eltern zusammen mit
Kindern, so geht der Effekt über das reine Üben weit hinaus. Die Kinder lernen
nicht nur das Musizieren, sondern vor allem auch, wie sehr gemeinsames
Musizieren Freude bereiten kann, und nehmen hieraus viel Motivation für das
Üben an "ihrem" Instrument mit. Weiterhin hat gemeinsames Üben einen
strukturierenden Effekt, und vor allem kleine Kinder lernen hierdurch im Laufe
der Zeit, sich selbst zu strukturieren." (Spitzer, 2002, 329)
Richten wir den Blick auf den gestaltbaren sozialen Lernkontext, können die vielfältigen Möglichkeiten erkannt werden, mit denen angeregt, motiviert und strukturiert werden kann. Wenn das Ziel darin besteht, Lernstrategien zu optimieren, es also um zeitnahe Zielerreichung geht, sollten auch Strategien der multiplen Zielerreichung berücksichtigt werden, da der menschliche Körper über die Fähigkeit verfügt Sinneseindrücke parallel zu verarbeiten. Im RIM-Konzept stellt die Integrativität (I) den Oberbegriff, der auf das Zusammen im Sinne einer parallelen Verarbeitung verweist. Entsprechend schreibt Manfred Spitzer:
Richten wir den Blick auf den gestaltbaren sozialen Lernkontext, können die vielfältigen Möglichkeiten erkannt werden, mit denen angeregt, motiviert und strukturiert werden kann. Wenn das Ziel darin besteht, Lernstrategien zu optimieren, es also um zeitnahe Zielerreichung geht, sollten auch Strategien der multiplen Zielerreichung berücksichtigt werden, da der menschliche Körper über die Fähigkeit verfügt Sinneseindrücke parallel zu verarbeiten. Im RIM-Konzept stellt die Integrativität (I) den Oberbegriff, der auf das Zusammen im Sinne einer parallelen Verarbeitung verweist. Entsprechend schreibt Manfred Spitzer:
"Kleine Kinder brauchen Input, der stimmig
ist. Wenn es genau dort wackelt und raschelt, dann lassen sich Hören und
Sehen zusammen verarbeiten. Die Eindrücke verstärken und stützen sich
gegenseitig und liefern sehr robustes Material, aus denen sich Regeln ableiten
lassen. ...
Aus dem Computer (oder dem Fernseher) kommen
dagegen vergleichsweise sehr schlecht korrelierte Signale: Das Kind erlebt, was
man als eine Bildsoße beschreiben könnte, zusammen mit einer Klangsoße."
(Spitzer, 2002, 331)
Der Mensch ist als Sinneswesen in der Lage sehr
vielfältige Umweltreize zu filtern. Die multimodale
Fähigkeit der komplexen Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen kann ausgebildet, geübt und verfeinert werden.
"Beginnen Kinder zu musizieren, so sollten sie
die Töne so leibhaftig wie möglich erleben. Die Luft aus den eigenen Lungen,
das Vibrieren der Saiten an den Fingern oder einfach das Hören der eigenen
Stimme sind wichtige Erlebnisse." (Spitzer, 2002, 333)
In 'Musik im Kopf' beschreibt Manfred Spitzer aus neurologischer Perspektive das Musizieren und das Musikhören. Zum Begriff 'Musiktherapie' kommt der an der Psychiatrischen Klinik Ulm Tätige allerdings erst im letzten, gerade 15 Seiten umfassenden Kapitel 'Gesundheit, Medizin und Therapie'.
Literatur
Literatur
- Laban, Rudolf (1995/1955) Kinetografie - Labanotation. Einführung in die Grundbegriffe der Bewegungs- und Tanzschrift.
- Laban, Rudolf (1991) Grundlagen der Raum-Harmonielehre des Tanzes. Florian Noetzel: Wilhelmshaven.
- Hörmann, Karl (2004) Musik in der Heilkunde. Künstlerische Musiktherapie als angewandte Musikpsychologie. Münster: Paroli.
- Hörmann, Karl (2000) Tanzpsychologie und Bewegungsgestaltung, 2. Aufl., Münster: Paroli.
- Mantel, Gerhard (2001) Einfach üben. 185 unübliche Überezepte für Instrumentalisten. Mainz: Schott.
- Spitzer, Manfred (2002) Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk. Stuttgart: Schattauer.
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