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1. Möglichkeiten
Edith Lecourt zeigte 1979 psychologische Wirkungen der Musik, die wertvolle Perspektiven für Musiktherapie und Musiksozialarbeit eröffneten.
"Die Vielfalt der musikalischen Werke - Ergebnis des menschlichen schöpferischen Geistes - eröffnet uns erstaunliche Perspektiven: Die klassische Musik mit ihren Strukturen, ihren Harmonien, ihrer Philosophie, ihrer Erhabenheit und ihrer Romantik; die volkstümliche und die Volksmusik mit ihrer Rhythmik, ihrer Melodie und ihrer Verbindlichkeit und Spontaneität; schließlich die zeitgenössischen Werke mit ihrer Fragestellung, ihren Anforderungen an die Vorstellungskraft und ihrer Provokation spontanen Ausdrucks ... all diese und noch andere Aspekte bieten ein weites Betätigungsfeld an:
- lindernde Wirkung
- stimulierende, spannungssteigernde Wirkung
- strukturierende oder - im Gegenteil - auflösende Wirkung, die der Imagination freies Spiel läßt und so präzise Suggestionen und sehr persönliche Vorstellungen hervorruft
- Zerstörung oder Sammlung
- Lust und Bereitschaft mit anderen zu kommunizieren, oder aber Isolation
- Besessenheit oder Befreiung
- Engagement oder Ablehnung, usw.
So kann das Hören von Musik einfach eine Empfindung sein, die eine Befreiung aus unserer zu sehr rationalisierten Welt bewirkt, eine Erkenntnis der eigenen Person und des eigenen Körpers; aber es kann auch ein Mittel sein zum Träumen, bei dem Bilder um ihrer selbst willen erfunden werden, die man verfolgt, aufgibt, wieder faßt, mit denen man spielt, oder die man zu einer kleinen Welt zusammenfügt." (Lecourt, 1979, 10 f.)
2. Therapeutische und pädagogische Ansatzpunkte
Musik bietet viele Ansatzpunkte für therapeutisches und pädagogisches Handeln, denn sie bietet differenzierte Möglichkeiten zur Stimulation und sinnliche Reize können therapeutisch eingesetzt werden. Mit reflektiertem Umgang mit Musik können also therapeutische Effekte und musikpädagogische Ziele erreicht werden. Leider wird Musik nicht selten aber auch weniger vorteilhaft genutzt. Ein ungünstiges Bewegungsverhalten beim Üben kann die Gesundheit schädigen, ebenso wie das Hören zu lauter Musik. Da generell der Erwerb neuer Fähigkeiten mit mehr oder weniger effizienten Strategien erfolgt, erscheint es sinnvoll das Üben zu optimieren. Dabei sollte natürlich der Bereich zwischen Unter- und Überforderung aufgesucht werden. Das Üben sollte eher Spaß machen, statt mit Unlustgefühlen verbunden zu werden. Es kann auch darüber nachgedacht werden, das Gehirn mit Reizen zu stimulieren, die mehr als nur einen Sinneskanal ansprechen.
3. Geeignete Stimulation zum Erwerb wichtiger Fähigkeiten
Womit aber nähren wir unser Gehirn? Womit stimulieren wir unser Nervensystem? Um diese Frage zu beantworten, sollten wir aber auch klären, was wir überhaupt lernen wollen. Immerhin geht es auch darum im Leben besser zurecht zu kommen. Dazu möchten es sich kaum jemand unnötig schwer machen. Menschen, die mit einer gewissen Leichtigkeit durch das Leben gehen, sind ansprechend. Warum sollten wir nicht von ihnen lernen? Für eine sinnvolle Aktivierung des Gehirns kann zudem auch auf neurobiologische Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden. Die Aktivierung unterschiedlicher Bereiche des Gehirns beim Musizieren und beim Musikhören können mit der modernen Technik ja sehr gut visuell dargestellt werden. Die Frage nach der optimalen Stimulation des Gehirns kann aber auch als Frage nach den optimalen Strategien des Übens formuliert werden.
Gehen wir mit Wilfried Gruhn davon aus, dass es oft wichtiger ist, wie wir lernen, als was wir lernen, öffnet sich die Tür auch weit für unsere individuellen Interessen und Neigungen. Verknüpfen wir die Idee des lebenslangen Lernens mit der Vorstellung, dass unterschiedliche Wege zum Erfolg führen können, kann das zur Suche nach guten Lernstrategien motivieren. Der klassische Weg des Lernens erfolgt zwischen Lehrer und Schüler. Dabei erscheint es vorteilhaft, wenn gute Lehrer ausgewählt werden und wenn das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler-Verhältnis gut ist. Zum Lernen können aber auch situative Möglichkeiten genutzt werden. Hierzu empfehlen erfolgreiche Musiker früh und viel vor Publikum zu spielen. Gelernt wird ja nicht nur nach dem Trichter-Modell.
Die Forschungsergebnisse im Bereich der Neuroplastizität bestätigen nachdrücklich das Lernen als lebenslangen Prozess. Es ist wichtig, diesen Prozess aktiv mit zu gestalten. Hierzu kann sich ein jeder mit dem eigenen Fähigkeitsprofil auseinandersetzen. Was kann ich schon? Was möchte ich als nächstes Lernen? Kleinproportionierte Lernziele könnten womöglich zu höherfrequenten Erfolgsgefühlen führen und unser körpereigenes Belohnungssystem besser stimulieren. Pausen sind wichtig. Nicht nur in der Musik. Es lohnt sich, an einem geeignete Rhythmus zwischen Anstrengungs- und Erholungsphasen zu arbeiten. Interessant wird es aber, wenn dabei auch über die Gestaltung der Erholungsphasen nachgedacht wird. Oft wird das Auftanken vernachlässigt.
Berufliche Änderungen, soziale Anforderungen, Veränderungen stehen auf der Tagesordnung, irgendwann müssen auch altersbedingte Fähigkeitseinbußen kompensiert werden. Das Leben bietet vielfältige Herausforderungen, die nicht nur (pessimistisch) bewältigt werden müssen, sondern auch genutzt werden können sollten, damit das Lachen nicht vorzeitig aus dem Gesicht fällt.
Deshalb stellt sich wiederholt die Frage: Wie wollen wir leben?
Wir wünschen uns ein schönes Leben mit viel Freude. Es macht aber auch Sinn zu realisieren, dass wir dafür auch etwas tun können.
Wie kommt es, dass es Menschen gibt, die selten überfordert erscheinen? Welche Menschen wählen wir als Modell? Wer ist denn so, wie wir gerne sein wollen? Und was machen diese Menschen anders, eben besser? Das das Leben einen leicht überfordern kann, ist diese Frage so wichtig. Aus der Musik kennen wir die machtvolle Wirkung der Wiederholung. Deshalb stellen wir diese Frage erneut: Wie wollen wir leben? Wir könnten eine gute Antwort auf diese Frage finden. Warum unterbleibt diese Anstrengung aber so oft?
Das Handeln wird oft vergessen oder immer wieder aufgeschoben, dabei brauchen wir uns nur ein bisschen bewegen. Es gibt viele Möglichkeiten. Wir müssen sie nur nutzen. Fängt einer damit an, kann es zu Synergieeffekte kommen, kann womöglich auch so etwas wie Freude aufkommen. Und wer an dem, was er tut, Spaß hat, ist womöglich auf einem guten Weg. Und dann ist es vielleicht auch nicht mehr so schlimm, Verantwortung darüber zu übernehmen, wie man mit sich und der Umwelt umgeht.
4. Rhythmik aus der RIM-Perspektive
Persönliche Weiterentwicklung und Selbstoptimierung können Spaß und Freude bereiten. Da das Leben kurz ist, können wir nicht alles machen und erst recht nicht alles zur selben Zeit. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper interessierte sich für Probleme. Popper fürchtete sich offenbar weniger vor Problemen, er verfügte über die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen. Er war sich darüber im Klaren, was ihn interessierte und was ihn faszinierte. Er wußte, was er lernen wollte, vielleicht besser, als viele andere. Woher kam das? Vielleicht hatte er in seiner Jugend gute Modelle. Wie ist das überhaupt mit den Vorbildern? Wie wichtig sind gute Vorbilder? Das ist eine interessante Frage.
Wie kommt es dass jemand weiß, was er will, während andere sich nicht entscheiden können?
Wie kommt es, dass sich der eine bewegt und der andere stehen bleibt? Und welche Bedeutung hat überhaupt die Bewegung? Aus Studien über Langstreckenläufer wissen wir, dass durch Bewegung das körpereigene Belohnungsysstem aktiviert werden kann. Aus der Sportwissenschaft wissen wir, dass Anstrengungen sogar zu einem Energiegewinn führen kann. Unter einem multimodalen Aspekt können wir uns aber auch die Pause noch einmal anschauen. Was ist überhaupt eine Pause? Pausen haben ja nicht nur in der Musik diese hohe Bedeutung. Eine Pause zu machen, bedeutet doch auch nicht, dass wirklich nichts getan wird. Darüber lohnt es sich nachzudenken. Wie wird eine Pause genutzt?
Musik ist ein Beispiel, Musik kann auch als Modell betrachtet werden. Warum sollte uns jemand daran hindern? Musik kann als multimodale Angelegenheit betrachtet werden. Unter diesem Gesichtspunkt bilden Musik und Bewegung eine Einheit. Musik und Tanz standen immer schon in einer sehr engen Verbindung. Musik und Bewegung. Musik und Ausdruck. Musiktheater. Sehen wir genau hin, sind alle Sinneskanäle beteiligt und auch das mentale Denken bleibt in der Musik nicht außen vor.
Der Stellenwert der Musik ist auch in unserer Gesellschaft sehr hoch. Dabei ist Musik ist nicht nur Spaß und Vergnügen. Die Musikbranche hat schon einen sehr hohen Anteil am Bruttosozialprodukt. Warum steht auf einem Grundstein der Jugendmusikschule in Hamburg 'Ohne Musik ist das Leben ein Irrtum'?
Melodie, Harmonie, Rhythmus, Musik ist eine Kunst in der Zeit, ganz in Bewegung. Aber Musik bewegt auch. Die RES-Analyse von Professor Karl Hörmann berücksichtigt die unterschiedlichen Sinneskanäle. Der Mathematiker Spencer Brown fragte nach der Einheit einer Unterscheidung, unterscheiden wir einfach einmal Analyse und Synthese. Die beiden Aspekte gehören natürlich zusammen. Wahrnehmung und Handeln. Stimulation und Reaktion. In einer Komposition können Elemente kombiniert werden. Es lässt sich auch variieren. Menschen können über verschiedene Sinneskanäle angeregt und stimuliert werden. In der Rhythmik erfolgte eine sehr intensive Auseinandersetzung mit diesen Aspekten. Eine interessante Perspektive.
Es gibt viele fruchtbare Ideen für eine sinnvolle Beschäftigung mit Musik. Dabei kann auch auf bereits vorhandene Ressourcen aufgebaut werden. Musik und Bewegung sind meines erachtens hervorragend geeignet für eine ressourcenorientierte integrative multimodale Arbeit (RIM-Therpie und RIM-Pädagogik). Wertvolles Wissen findet sich bereits bei E. Jaques-Dalcroze. Seine innovative Arbeit hatte Auswirkungen für die Musikpädagogik. 1921 veröffentlichte er sein Buch 'Rhythmus, Musik und Erziehung'. Seine 'Rhythmik' eroberte Weiterbildungsstätten wie die Akademie Remscheid. Rhythmik ist nicht nur interessant für die Arbeit mit Kindern. Die 'Künstlerischen Musik- und Tanztherapie' von Karl Hörmann schlägt eine Brücke zwischen Therapie und Pädagogik. Hier kommen ressourcenorientierte, integrative und multimodale Aspekte (RIM) zur Geltung. Ein systematisches Buch über den Einsatz von Groovemusik im Unterricht von Heinrich Klingmann wurde 2010 im transcript Verlag veröffentlicht. mehr Info
5. Zusammenfassung
Musik bietet nicht nur für Kinder und Jugendliche wertvolle methodische Ansatzpunkte. Sinnvolle pädagogische und therapeutische Arbeit mit Musik reduziert sich nicht auf die Förderung intellektueller, kognitiver Fähigkeiten. Wenn ihr multimodales Potenzial effektiv und effizient genutzt wird, bietet sich die Arbeit mit Musik für Lern- und Entwicklungsprozesse an. Integrationsleistungen des Gehirns können mit Musik genutzt und aktiviert werden.
6. Stichworte
Musik und Bewegung, Musik und Emotion, Musik und Imagination, Synergieeffekte, Gruppenarbeit, multimodales Potential.
7. Quellen:
- Dalcroze, Jaques E. (1994) Rhythmus Musik und Erziehung. (1921) Seelze: Kallmeyer.
- Fierus, Gerd (2005) RIM-Pädagogik - beispielhaft.
- Fierus, Gerd (2006) Thesen zur Musiktherapie.
- Frohne-Hagemann, Isabelle (2001) Fenster zur Musiktherapie. Wiesbaden: Zeitpunkt. [insbesondere: Kapitel 5 (1981) Rhythmisch-Musiktherapeutische Arbeitsansätze (S.61-70)]
- Hörmann, Karl (2004) Musik in der Heilkunde. Künstlerische Musiktherapie als Angewandte Musikpsychologie. Lengerich: Pabst Science Publishers.
- Lecourt, Edith (1979) praktische Musiktherapie. (1977) Salzburg: Otto Müller.
8. Ausgewählte Schriften zur Rhythmik
- Rudolf Laban: Choreutik
- Rudolf Laban: Kinetografie
- Rainer Flatischler: TaKeTiNa
- Heinrich Klingmann: Groove - Kultur - Unterricht
Erstellt am 21. Juli 2007
Überarbeitet am 6.11.2009; 20.2.2011 und 5.5.2011
1 Kommentar:
Appreciate this post. Will try it out.
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