Heinrich Jacoby förderte die musikalischen Ausdrucks- und Aufnahmefähigkeit. Seine Beiträge für die moderne Musikpädagogik soll im Folgenden zumindest etwas gewürdigt werden.
"Im bewußten Gegensatz zur heute üblichen intellektualistisch-mechanistisch und wesentlich auf Reproduktion eingestellten Art des Musikunterrichts will ich einen Weg für die Entwicklung der musikalischen Ausdrucks- und "Aufnahme"-Fähigkeit zeigen, auf dem allein das in jedem Menschen latente Schöpferische angesprochen wird." (Jacoby, 1984 (1922), 10)
Jacoby bemühte sich darum, den Zeitaufwand für das Erarbeiten von Ausdrucksmitteln verringern und er wollte mehr Menschen zur Entfaltung der eigenen musikalischen Äußerungs-Fähigkeiten verhelfen.
Hierzu kritisierte der Reformpädagoge die Scheidung zwischen musikalischen und unmusikalischen Menschen als vorschnell und unreflektiert, als unter den verbildenden Einflüssen einer unzulänglichen Musikschulung entstandenen Sprachgebrauch.
Heinrich Jacoby hielt auf einer Kunsttagung entschiedener Schulreformer am 5.Mai 1921 in Berlin eine Rede. Diese erschien erstmals in Schriftform im März 1922 in 'Die Tat. Monatszeitschrift für die Zukunft deutscher Kultur, Märzheft 1922' und als Sonderdruck unter dem Titel 'Heinrich Jacoby, Grundlagen einer schöpferischen Musikerziehung'. 1984 wurde der Artikel von Sophia Ludwig (hrsg.) erneut veröffentlicht.
Heinrich Jakoby hatte neue pädagogische Prioritäten gesetzt und definierte dabei die Begriffe 'Schulung' und 'Erziehung' um: "Ich gebrauche diese Begriffe im Sinne einer Einwirkung, die, von der Überzeugung vom Schöpferischen im Menschen ausgehend, sich auf die Schaffung von Erfahrungs-Gelegenheiten beschränkt und Selbsttätigkeit als oberstes Gesetz fordert." (Jacoby, 1984 (1922), 10)
Die von Heinrich Jacobi entwickelten Ideen sollten sich später in Begriffen wie elementare Musik (Orff) und Muttersprachenmethode (Suzuki) spiegeln.
"Die Rolle, die Wort, Ton, Linie, Farbe, Rhythmus in der Erziehung zu spielen vermögen, kann nicht die von Künsten im landläufigen Sinne sein. Es geht bei all dem um elementare, allgemein menschliche Ausdrucksgebiete, auf denen grundsätzlich jeder zu ähnlichen und selbstverständlichen Äußerungen gelangen könnte wie etwa beim Gebrauch der Muttersprache, bei der wir doch auch zuerst an das Ausdrucks- und Verständigungsmittel denken und nicht an Dichtung oder dramatische Rezitation." (Jacoby, 1984 (1922), 12)
Nun sollte primär das Kind gefördert werden und sekundär erst die außerhalb des Kindes liegenden Zwecke und Absichten (zugunsten des Kunstbetriebes). "Erst wenn Musik bereits eigenes, lebendiges Äußerungsmittel geworden ist, dürfte an eine Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk gedacht werden, die dann intensiver und lebensvoller vor sich gehen wird, als bei denen zu erwarten ist, die nie anders als aus dem Notenbuch zu musizieren gelernt haben." (Jacoby, 1984 (1922), 12)
Entsprechend sollte nun der Musikunterricht vor allem solche Voraussetzungen schaffen, "unter denen die in allen Menschen vorhandenen schöpferischen Fähigkeiten zu möglichst unbehinderter Auswirkung kommen" (Jacoby, 1984 (1922), 16)
Heinrich Jacoby hatte in seiner Arbeit mit über 700 Menschen der unterschiedlichsten Altersstufen verschiedene Ursachen für das Fehlurteil 'Unmusiklalität' identifiziert:
"Obgleich sich von diesen etwa 80 Prozent zu den sogenannt Unmusikalischen gerechnet hatten, hatsich eine erfolgreiche Zusamenarbeit nur bei zweien als aussichtslos herausgestellt, bei denen die Fähigkeit, hohe bzw. tiefe Töne überhaupt wahrzunehmen, durch organische Erkrankung des Gehörapparates gestört war. Ungewöhnlich schwierig gestaltete sich die Arbeit nicht etwa bei denen, die die äußerlichen Merkmale der sogenannten Unmusikalischen am ausgeprägtesten hatten, sondern bei einigen ausgesprochen neurasthenischen Menschen, bei ungewöhnlich zerstreuten und schlaffen Menschen. Bei allen anderen zeigte es sich fast stets, daß z. B. das stimmliche Versagen, das Nicht-Singen-Können oder das unreine Singen auf Störungen der Atemfunktionen, die sehr verschiedene Ursachen haben können, oft auch auf nervöse Hemmungen, besonders während und nach der Pubertätszeit, zurückzuführen waren. Ebenso zeigt die genaue Überprüfung, daß auch die scheinbare Unfähigkeit, "hohe" von '"tiefen" Tönen oder Tonabständen überhaupt zu unterscheiden, nichts mit einer besonderen Beschaffung des Gehörs - sofern dies nur organisch gesund ist - zu tun haben kann. Das scheinbare Nicht-unterscheiden-Können ließ sich fast immer als ein nicht bewußter Mangel an Bereitschaft zum Versuch erkennen. War diese Bereitschaft wieder entstanden, so war auf einmal das "musikalisch Ohr" da! ... Das falsche Singen sowie das Versagen bei der Beurteilung von Klängen ist außerdem immer auf ein zu schnelles "Reagieren" zutrückzuführen: Der Versuch, Töne zu reproduzieren oder ihre Eigentümlichkeit zu erkennen, wird gemacht, bevor deutliche Klangempfindungen, Klangerinnerungen entstehen konnten. Veranlaßt man sie, die Augen zu schließen und sich den Klang erst einmal vorzustellen, innerlich zu hören, so gelingt der Versuch sehr bald." (Jacoby, 1984 (1922), 15)
Es ist der Ansatz, auf dem es ankommt.
"Auch bei der Musik müssen wir vermeiden, zuerst an Kunst oder Kunstwerke zu denken oder gar an das, was heute als eine gesellschaftliche Angelegenheit in unseren Theatern und Konzertsälen vor sich geht. Wir haben es in erster Linie mit dem lebendigen, elementaren Ausdrucksmittel zu tun, durch das sich äußern zu können jedem aus den Gegebenheiten der menschlichen Natur heraus möglich und gemäß ist. Musikalischen Lebensäußerungen begegnen wir immer und überall; sie machen sich als spontane Gefühlsäußerungen in Juchzer und Jodler genauso Luft wie im improvisierten Arbeits- und Tanzlied." (Jacoby, 1984 (1922), 12)
Quelle:
Jacoby, Heinrich (1922) Grundlagen einer schöpferischen Musikerziehung. In: Ludwig, Sophie (Hg.) 1984 Jenseits von ’Musikalisch’ und ’Unmusikalisch’, Hamburg: Christians Verlag.
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