2008/03/11
Einsatz elementarer Musik bei taubstummen und hochgradig schwerhörigen Kindern im Jahr 1962
Carl Orff definierte in seinem 1962 erstmals veröffentlichten Beitrag 'Orff-Schulwerk in der Heilpädagogik und Medizin' die elementare Musik:
"Elementare Musik ist nicht primitive Musik; elementarisch, lat. elementarius, heißt "zu den Elementen gehörig, urstofflich, uranfänglich, anfangsmäßig". Eine solche Musik ist nie Musik allein, sie ist mit Bewegung, Tanz und Sprache verbunden, sie ist eine Musik, die man selbst tun muß, in die man nicht als H ö r e r, sondern als M i t s p i e l e r einbezogen ist. Elementare Musik ist nicht zum Vorspielen gedacht, sie ist vorgeistig, kennt keine große Form, keine Architektonik, sie bringt kleine Reihenformen, Ostinati und kleine Rondoformen. Elementare Musik ist erdnah, naturhaft, körperlich, für jeden erlern- und erlebbar, dem Kinde gemäß." (Carl Orff, 1962/1978, 4f.)
Prof. Dr. Hofmarksrichter, ehemaliger Leiter der Taubstummenanstalt in Straubing hatte Carl Orff durch Arbeit mit Orff-Instrumentarium an den Instituten für taubstumme Menschen beeindruckt. Carl Orff zitiert diesen ärztlichen Psychotherapeuten:
"Alle Lebensvorgänge sind rhytmische Vorgänge. Im Leben des Mensche sind es vor allem akustische Impulse, welche rhythmische Bewegung auslösen, am sichtbarsten im Tanz, in der tänzerischen Gebärde und in der rhythmischen Gestalt der menschlichen Sprache.
Dem tauben Menschen ist die Welt der Töne verschlossen. In ihm herrscht nicht die Stille des sich Besinnenden, sondern Stummheit, und wer einmal erkannt hat, daß Hören und Sprechen zwei Seiten ein- und derselben Wesenheit sind, wird erst begreifen, warum Taubheit Stummheit zur Folge hat. Stummheit ist aber auch zugleich Abwesenheit lebenserfüllender Rhythmik. Die Bewegungen tauber Menschen sind deshalb gehemmt und schleppend, dann wieder spastisch übersteigert und verzerrt, auf keinem Fall in einem natürlichen rhythmischen Fluß. Dies ist aber auch der Grund seiner - auch nach Abschluß einer erfolgreichen Schulzeit - monotonen und harten Lautsprache." (Hofmarksrichter, zitiert von Carl Orff, 1962/1978, 4f.)
1962 erfolgte die Bildung taubstummer Menschen auf zwei Wegen:
a) Durch verbesserte Gehöruntersuchungsmethoden wurden zunehmend Hörreste bei vormals als taub eingestuften Kindern entdeckt. Mit technischen Hörhilfen wurden diese Hörreste zum Aufbau der Lautsprache angeregt.
b) Bei der Arbeit über den Tast- und Vibrationssinn wurden Anschlageffekte des Orff-Instrumentariums (Tambourin, Holztrommeln, Pauken, Glockenspielen, Xylophone und Metallophone) genutzt. Solche Anschlageffekte sind von tauben und hochgradig schwerhörigen Kindern als Vibrationsempfindungen wahrnehmbar. Carl Orff schrieb hierzu:
"Doch ist die Qualität der Vibrationsempfindungen auch bei total tauben Kindern für die verschiedenen Töne durchaus unterschiedlich. Nach einer kurzen Übungszeit vermögen auch total taube Kinder die einzelnen Tonhöhen voneinander zu unterscheiden. Die verschiedenen Töne werden in verschiedenen Teilen des Körpers lokalisiert, hohe Töne werden bei total tauben Menschen "oben", im Kopf, nämlich in dem Resonanzraum der Stirnhöhle und der Kieferhöhlen empfunden, tiefe Töne in den wesentlich größeren Resonanzräumen des Brustkorbes und des Bauches. Durch diese Erfahrung wird das Bemühen um eine rhythmisch-musikalische Erziehung tauber Kinder auch physiologisch gerechtfertigt." (Carl Orff, 1962/1978, 5f.
Quelle:
Orff, Carl: Orff-Schulwerk in der Heilpädagogik und Medizin. Nachdruck des 1962 erschienen Artikels in: Wolfgart, Hans (Hg.) (1978) Orff-Schulwerk und Therapie. Therapeutische Komponenten in der elementaren Musik- und Bewegungserziehung. 2. Aufl., Berlin: Carl Marhold, S. 3-14.
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