2007/06/07

Globalisierung als Verteilungskonflikt














Die Dynamik der Globalisierung wird auch als unfassbare Dekadenz wahrgenommen. Als ’Der Gipfel der Ungerechtigkeit’ titelt DER SPIEGEL seinen aktuellen Beitrag zur Globalisierung.

Mit Sorge und nüchternen Zahlen wird dort Verschwendung und Verwahrlosung betrachtet.
In Heiligendamm gehe es "… in Wahrheit um genau diese Disparitäten: die höchst einseitige Verteilung von Vermögen, genauer, der Chance auf Vermögen." (Glüsing u.a., 2007, 41)
Die Autoren der aktuellen Siegel-Titel-Story projizieren die von ihnen formulierte Sorge auf die acht wichtigsten Staats- und Regierungschefs: "Mit Sorge beobachten die Gipfelpartner, wie in ihren Ländern und in der ganzen Welt die Ungleichheit wächst – und das Unbehagen darüber, dass so viele vom Reichtum ausgeschlossen sind." (Glüsing u. a., 2007 41f.)

Keine 25 Seiten später druckt der SPIEGEL den Beitrag von Steffen Winter über den sächsischen Skandal um Korruption, Rotlichtverbindungen und Kinderpornografie. Auch in Leipzig scheint es um Superlative zu gehen: „Büroarbeit in dem kafkaesken Bau muss jedoch nicht staubtrocken sein: Nach geheimen Dossiers des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz scheint das Leipziger Rathaus das frivolste der Republik zu sein, der Werbespruch der Stadt –„Leipzig kommt“ – erhält danach eine ganz andere Bedeutung: Tschechische Prostituierte sollen nach Erkenntnissen der Geheimen im Amtsgebäude ihrer Arbeit nachgegangen sein, und zwar regelmäßig.“ (Winter, 2007, 64)














Des SPIEGELS Blick auf Globalisierung und moralische Degeneration verweist auf einen weiteren Gipfel. Doch hilft Sarkasmus wenig. Angezeigter scheinen konstruktive Bemühungen zur Weltgestaltung. Vitale Konsequenz und Konstruktion der Realität: Markus Lüpertz, Einsatz und Stärke des Menschen, das gestalterische Potential drängt.

Die Kirche bieten längst keinen funktionierenden Wall mehr gegen die GEG's. Die Gierigen, Egoistischen und Geizigen wurden einst zumindest teilweise erfolgreich von einer Kirche verurteilt, deren Vertreter wußten wovon sie sprachen. Doch in der zunnehmend säkularisierten Welt erscheint das Individuum zunehmend selbstgeführt. Doch auch das rationale Denken erschöpft sich nicht im monetären Streben.













"Nie zuvor in der Geschichte ist der Wohlstand auf der Welt so schnell gewachsen. Wahr ist aber auch: Nie war dieser Wohlstand so ungleich verteilt." Glüsing, u.a., 2007, 41).

Die von den Spiegel-Autoren zusammengetragenen Zahlen schrecken auf, aktivieren. Die Zeit schreit nach konstruktiven Fiktionen.

"Genau genommen sind es 2,7 Milliarden Menschen, etwa 40% der Erdbevölkerung, sie leben von weniger als zwei Dollar täglich, nach einer Definition der Weltbank sind sie arm." (SPIEGEL, 4.6.2007, Titelstory Seite 42)

Die Welt war noch nie so reich wie heute.

In Heiligendamm protestieren viele gegen einen ungedämmten Freihandel der Globalisierung. Darunter junge Menschen, mit Idealen und Menschen, die noch unverdorben an die Werte glauben. An Werte, denen oft der Rücken zugekehrt wird, von denen, die sie lehren. Freihandel für Freibeuter, das mag für solche funktionieren. Doch die Entwickelten fordern eine ökologische Politik, eine Politik der Vernunft, eine Politik, die nicht nur einer ökonomisch- oder machtorientierten Minderheit dient. Nach dem abendländischen Kalender leben wir im dritten Jahrtausend, weniger in einem Dorf als in einer globalisierten Welt.

Die Verteilungskämpfe haben wir aus dem alten Jahrhundert mitgenommen, sie verschwanden nicht, als wir das Kalenderblatt abrissen. Dabei erschien die Gier immer schon als abstoßend. Als Abziehbild des monetär Fixierten begegnete Dagobert Duck der Phantasie. Doch in dessen Fixierung erschöpft sich nicht der Reichtum menschlicher Bedürfnisse.

In Heiligendamm demonstrieren viele Menschen schlicht und einfach gegen die bisherige Politik auf der globalen Ebene. Der Konflikt läßt sich nicht leugnen, es geht um das Wohl und dies mit einem kollektiven Anspruch. Starke Verteilungskonflikte, erhöhte Spannung und die Spannung ist dort am höchsten, wo der Druck am stärksten ist. Weder Angst noch Stacheldraht sind Elemente konstruktiver Lösungen, wenn Politik als undemokratisch erlebt wird. Zunehmend wird deutlich: Die zu setzenden Spielregeln sollen nicht mehr in autistischer anmutender Ferne aufgestellt werden, denn die Essenz der demokratischen Umgangsformen besteht in der Neuzeit im kontroversen Diskurs (Habermas) und seit den griechischen Stadtstaaten in der Pflicht autonomer Bürger an der Teilhabe politischer Entscheidungsprozesse. Daher stehen auch die Befürworter der Demokratie am Zaun: die globalen Spielregeln sollen nicht mehr ausschließlich von und für Minderheiten gesetzt werden.

Gerd Fierus

Quellen und Zitate:

1.) Glüsing, Jens u. a. (4.6.2007) Gipfel der Ungerechtigkeit. In: DER SPIEGEL Nr.23, 2007, Titelstory: S.40-57; 2.)

Winter Steffen (4.6.2007) Erhängt im Wald. In: DER SPIEGEL Nr.23, 2007 Erhängt im Wald. Deutschland Affären, Seite 64- 67.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

...die Welt war noch nie so arm wie heute!! - Dagegen etwas zu tun, bedarf es einer neuen Utopie mit globalen Idealen und einer global wirksamen kollektiven Vernunft; eine Weltdemokratie, einen globalen Diskurs, dessen Realisierung utopisch anmutet.
Denn Utopie braucht auch Zukunft; eine Zukunft, die wir dank des technischen Fortschritts heute schon fast "aufgegessen" haben (unsere Ressourcen). 40% der Menschheit sind ja heute schon von der Tafel ausgeschlossen!
Da der Mensch jedoch noch nicht auf Vernunft, sondern auf Leistung und Kokurrenz geeicht ist, bräuchten wir vielleicht einen Wettbewerb der Bescheidenheit in materieller Hinsicht. So erhielte der den höchsten sozialen Status, der aus eigenem Antrieb mit nur wenigem zurecht käme; und dadurch anderen Raum zum Atmen und Leben ließe. Bescheidenheit gleichsam als Einladung zum miteinander Sein.
Stefan Frings, Velbert

Musiklabor-Netzwerk hat gesagt…

Ja, Vernunft hat auch eine globale Dimension.

Dem anderen zuhören fällt oft schon schwer,
den anderen zuzuhören umso mehr,

doch wer nur lebt im autistischen Wahn,
fühlt nur narzistische Erhöhung.

Mangel als Lebensempfindung treibt den an,
der sich nicht in die Weite bewegen kann
und niemals reich wird sich fühlen.

Das Defizit gräbt Falten ein,
die niemand gerne sieht,
doch der Gestörte verfolgt blind sein Ziel.

Maßlos und ohne die tiefe Vernunft,
irrt der Wahnhafte isoliert in seinen Konstruktionen
wobei die selbst aufgezogenen Scheuklappen
blenden dann aus jede kollektive Vision.

Eine Zukunft, ja die hat er nie
denn Gewalt, die erntet nicht viel.

Die Gewalt gegen sich,
die Gewalt gegen andere
als generalisiertes Mittel der Wahl

zeigt sich so schnell als Schwäche,
so dass geflüchtet werden muss in Verstecke

und hinter hohem Stacheldraht
verschanzt vor all der Pracht

der arme Mensch voll Angst verzagt
das Leben niemals angewagt

so ist die Dummheit:
recht fatal

 
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