2007/05/02

Analytische Musiktherapie nach Mary Priestley

Wie kann die Methode der analytischen Musiktherapie skizziert werden?

"Analytische Musiktherapie besteht darin, daß Therapeut und Klient mit Hilfe improvisierter Musik das Innenleben des Klienten zu erforschen und dessen Wachstumsbereitschaft zu fördern versuchen. ... Der Patient (bzw. Klient, wenn er keine medizinische Behandlung erhält) des analytischen Musiktherapeuten öffnet sich im Verlauf des musikalischen Dialogs in stärkerem oder geringerem Maß, und er wird nach Beendigung des Spiels aufgefordert, dem Therapeuten seine Gedanken, Gefühle und inneren Erlebnisse mitzuteilen. Aber anders als in der Analyse findet durch die musikalische Improvisation zu zweit ein lebhafter emotionaler Austausch statt." (Priestley, 1983, 18f.)

Wie beschreibt Mary Priestley Beginn und Verlauf einer analytischen Musiktherapiesitzung?

"Der Therapeut bzw. die Therapeutin beginnt die Sitzung gewöhnlich, aber nicht notwendigerweise, indem er (sie) den Klienten berichten läßt, was dieser gefühlt, gedacht, und getan hat und wie es ihm ergangen ist." (Priestley, 1983, 22) Mit Patienten, die zu 'abwehrenden Geplauder' neigen, sei es oft besser, "mit einer zehn- oder fünfzehnminütigen Improvisation ohne festes Thema zu beginnen und abzuwarten, was durch die Musik zutage tritt."(Priestley, 1983, 22)

"Manchmal fragt die Therapeutin den KLienten, was er spielen möchte, häufiger jedoch wählt sie ein Thema bzw. zwei Rollen aus dem Material, das der Klient gebracht hat, aus - Rollen, die er selbst nicht nur nicht wählen, sondern geflissentlich vermeiden würde, weil sie zu schmerzhaften Enthüllungen führen könnten. Die Therapeutin spielt am Klavier. Natürlich kann die Stimme des Klienten als zusätzliches Instrument betrachtet werden, wenn er (sie) nicht zu gehemmt ist, sie zu benutzen.
Die Therapeutin übt in diesem Duett eine doppelte Funktion aus. Sie ''hält'' (contain) die Emotion des Klienten durch ihren musikalischen Ausdruck, indem sie dessen wirkliche Stimmung reflektiert; sie muß aber auch auf die innere Stimme aus dem Unbewußten des Klienten achten: die Gegenübertragung ..., und manchmal muß sie diese Gefühle aus dem Unbewußten des Klienten musikalisch wiedergeben." (Priestley, 1983, 23)

"Nach dem gemeinsamen Spiel spricht der Klient über seine inneren und äußeren Erlebnisse, der Therapeut sagt vielleicht, was ihm zu der Musik eingefallen ist, und dann wird die Bandaufzeichnung abgespielt. Erstaunlicherweise können die Klienten, obwohl die meisten musikalisch nicht geschult sind, in dieser fragmentierten Abfolge von Tönen und Rhythmen fast immer genau die Stelle wiedererkennen, an der ein bestimmtes inneres Bild oder Gefühl aufgetreten ist. Auch hören sie beim Abspielen des Bandes oft zum ersten Mal bewußt, was der Therapeut gespielt hat, und das ist sehr beruhigend für sie."(Priestley, 1983, 24)

Stellt Mary Priestley Anforderungen an Klienten und gibt es Ausschlusskriterien?

"Es gibt bestimmte Kriterien dafür, welche Patienten sich für eine analytische Musiktherapie eignen. Schwerhörige Patienten kommen nicht in Frage. Patienten mit einem Intelligenzquotienten von unter 90 sind weniger geeignet für diese Behandlungsform, weil sie nicht symbolisch denken können und die Analogien zwischen den musikalischen Erfahrungen und den Worten nicht verstehen können." (Priestley, 1983, 26)

Wie wird die Beziehungsarbeit in der analytischen Musiktherapie von Mary Priestley beschrieben?

Zu Beginn einer Behandlung bestehe das Hauptziel in der Herstellung einer Beziehung zu dem Patienten. (vgl. Priestley, 1983, 40) Dabei "wird der Patient eine Qualität des Zuhörens erleben, wie sie ihm sicher noch nie zuteil wurde, sonst wäre er jetzt nicht in Therapie." (Priestley, 1983, 40)

Priestley differenziert in der therapeutischen Beziehung zwischen drei verschiedenen Ebenen: 1. die rationale Ebene, basierend auf dem Arbeitsbündnis, 2. "Als nächstes ist da die subverbale musikalische Ebene, auf der sich die Emotionen des Therapeuten und des Patienten frei miteinander vermischen; auf dieser Ebene ist es bis zu einem gewissen Grad möglich, starke Gefühle - auf den Instrumenten - auszuagieren." (ebd., 40) 3. "Und schließlich hat der Patient Gelegenheit, mit dem Therapeuten erneut Gefühle durchzuspielen, die er als Kind seinen Eltern gegenüber empfand, und zwar so, daß die frühesten Beziehungen weniger erinnert, als vielmehr neu inszeniert werden. Der Therapeut, der mit der Übertragung arbeitet, klärt, was in der Gegenwart geschieht, und setzt es zu bestimmten Ereignissen in der Vergangenheit in Beziehung, damit eine bestimmte Verhaltensweise schließlich verstanden und erinnert werden kann und nicht ständig als Ergebnis unbewußter Einflüsse wiederkehrt und dann die gegenwärtigen Beziehungen verzerrt." (Priestley, 1983, 40f.)

Wie wird in der analytischen Musiktherapie die Arbeit mit musikalischer Improvisation verstanden?

"Die tiefe subverbale Schicht des musikalischen Ausdrucks bedarf sorgfältiger Vorbereitung. Die Sprache der freien atonalen Improvisation ist den meisten Patienten völlig fremd. Sie läßt sich eigentlich nicht erklären. Es soll sich nicht um eine intellektuelle Übung handeln, sondern um den Ausdruck von Gefühlen, die vielleicht seit Jahrzehnten verborgen gewesen sind. Der Patient muß diese Form der Äußerung irgendwie spontan entwickeln und als Kommunikationskanal für seine Gefühle benutzen lernen. Sobald ihm dies gelungen ist und er die Erleichterung verspürt hat, die ihm der Ausdruck seiner Gefühle und die Befriedigung durch eine schöpferische Tätigkeit gewähren, fängt diese dritte Form der Beziehung an, wirksam zu werden." (Priestley, 1983, 47)

Wie wird den Klienten der Einstieg in die Improvisation ermöglicht und welche Funktion hat die Improvisation in der analytischen Musiktherapie nach Mary Priestley?


"Die erste Improvisation ist sehr wichtig. Wird sie der Patient als etwas erleben, wodurch und womit seine Gefühle 'gehalten'' (contained) werden, oder wird es eine peinliche, schwierige oder gar unmögliche Aufgabe für ihn sein? Der Therapeut wird die Aufmerksamkeit des Patienten von der Außenwelt ablenken, nach dessen Gefühl Leistungen von ihm erwartet werden, und sie auf seine innere Welt, die tiefen Quellen des Gefühls und der schöpferischen Kräfte hinlenken. Die Musik wird eine direkte Brücke zwischen der inneren und der äußeren Welt bilden." (Priestley, 1983, 48)

Welche Erfahrungen mit der Methode der Improvisation hebt Mary Priestley hervor?

"Sobald der Patient die Verbindung zwischen Phantasie, Gefühl und Musik hergestellt hat, ist seine Aufmerksamkeit gefesselt, und er lernt die Technik unbefangen und ohne Schwierigkeit. Beim Anhören der Aufnahme von ihrer Musik im Zusammenhang mit dem Klavierpart des Therapeuten sind die Patienten meist fasziniert. Sie können sich dann ein höheres Maß an Wahrnehmungsfähigkeit gegenüber der Außenwelt erlauben und sind erstaunlicherweise fähig, das Innere mit dem Äußeren zu verbinden, indem sie darauf hinweisen, welcher musikalischer Klang welches innere Erlebnis repräsentierte.
Statt einer Imaginationsübung wird manchmal eine Situation aus dem Material, das der Patient präsentiert hat, untersucht." (Priestley, 1983, 48 f.)

Welche theoretischen Hintergründen und Kategorien bestimmen hier die therapeutischen Wahrnehmungen und die methodische Vorgehensweise?

Das Improvisieren mit dem Patienten beschreibt Mary Priestley vor dem Hintergrund von Übertragung und Gegenübertragung (vgl. Priestley, 1983, 40-67). Dabei versteht Priestley die Aufgabe des Therapeuten zunächst vor allem als haltend und stützend (containing). Zu einem späteren Zeitpunkt der Beziehungsarbeit wird zunehmend auch die Konfrontation möglich und notwendig:

"Manchmal muß der Therapeut durch musikalische Mittel hervorheben, daß er und der Patient zwei getrennte Personen sind, und dem Patienten eine musikalische Konfrontation anbieten. Aber das darf nicht zu bald erfolgen. Es scheint, daß sich der Patient anfangs bei der Improvisation im gleichen Bewußtseinszustand befindet wie ein Säugling, der nicht erkennt, daß die Brustwarze, die ihn stillt, oder die Arme, die ihn tragen, nicht allesamt befriedigende Teile seiner selbst sind." (Priestley, 1983, 64)

Das Halten und Stützen könnte mit dem Iso-Prinzip verglichen werden, während die Konfrontation auf das angestrebte Ziel hin betrachtet werden kann (Level-Prinzip).

Welche Bedeutung hat der Wechsel zwischen non-verbalen und verbalen Phasen in der analytischen Musiktherapie nach Mary Priestley?

"Man kann die Frage stellen, warum es nötig ist, die Bedeutung der Musik in Worte zu fassen. Genügt es nicht, daß die Gefühle ausgedrückt werden? Ich persönlich glaube nicht, daß es genügt."(Priestley, 1983, 128)

"Musik ist immer Ausdruck irgendwelcher Art, aber manchmal ist sie der Ausdruck akzeptabler Gefühle und manchmal drückt sie Abwehr gegen ein inakzeptables Gefühl aus. Viele Musiker wählen ihren Beruf ursprünglich, weil er ihnen Gelegenheit bietet, sich durch den musikalischen Ausdruck Erleichterung zu verschaffen, ohne Gefahr zu laufen, daß jemand ihren musikalischen Code entschlüsselt. Das soll nicht heißen, daß es nicht einige außergewöhnliche Musiker gäbe, deren tief empfundene, musikalisch spürbaren Gefühle auch dem verbalen Ausdruck zugänglich sind. Aber das ist selten, weil Worte und Musik zwei recht unterschiedliche Sprachen sind und es nur vereinzelte Menschen gibt, die sie zu deuten wissen.
Ein überaus wichtiges Element der Sitzung ist deshalb der Teil, indem Therapeut und Patient gemeinsam die Aufzeichnung ihrer Improvisation anhören. Der Patient muß lernen, seine Musik anzuhören und die Verantwortung für die darin zum Ausdruck kommenden Gefühle zu übernehmen. Dabei erlebt er wahrscheinlich auch zum ersten Mal die Interaktion zwischen seinem eigenen Spiel und dem des Therapeuten, da die meisten Patienten die Musik des Therapeuten während des Spiels, zumindest auf der bewußten Ebene, gar nicht registrieren." (Priestley, 1983, 129)

Das in Worte fassen beim gemeinsamen Anhören der gespielten und aufgezeichneten Musik kennzeichnet die analytische Musiktherapie. Dabei werden Gefühlen und Erlebnissen der improvisierten Musik zur kognitiven Integration verbalisiert. Sowohl das Verstehen der inneren Gefühlswelt, wie auch die Verantwortungsübernahme für nichtakzeptable Gefühle haben einen hohen Stellenwert in der analytischen Musiktherapie.

"Die Bedeutung der Musik ist bestenfalls geheimnisvoll und schlimmstenfalls überhaupt nicht zu entschlüsseln, aber sie zu entdecken, ist sehr lohnend und kann dem analytischen Musiktherapeuten entscheidend dabei helfen, seine Patienten zu verstehen. ... die kleinsten Funken von Einsicht und Verständnis, die sich daraus ergeben, können sowohl für den Therapeuten als auch für den Patienten große Bedeutung gewinnen."(Priestley, 1983, 135)

Welchen Standpunkt hat Mary Priestley zu Lob und Tadel?

Priestley warnt vor zu frühen Improvisationen über das Thema 'Bestätigung' (affirmation) oder Feiern (celebrations).

"Die Patienten, mit denen wir feiern, müssen daher mit einiger Sorgfalt ausgewählt werden. Wenn sie selbst unbewußt sehr neidisch sind, ist ihre Furcht, beneidet zu werden, vielleicht zu groß, als daß sie Feiern zulassen können." (Priestley, 1983, 137)

"Affirmationen sind etwas anderes als Feiern, sie bringen musikalisch eine positive Aussage über ein bestimmtes Ereignis zum Ausdruck. Kleine Kinder verlangen ständig danach. ... Verbale Bestätigung wird der analytische Musiktherapeut vermeiden, da es nicht seine Absicht ist, den Patienten so abhängig von sich zu machen, wie dieser von seiner Mutter war. Musikalisch jedoch ist es etwas anderes. ... Zu einer musikalischen Affirmation kommt es gewöhnlich, wenn der Patient schon einige Zeit in der Therapie ist und sich wohl genug fühlt, um in seiner Erinnerung zurückzugehen, bis er etwas Glänzendes, Schönes wiederentdeckt, woran er den anderen teilhaben lassen will. Das ist der richtige Augenblick für eine musikalische Affirmation." (Priestley, 1983, 142)

"Affirmationen sind etwas durch und durch Schöpferisches. Der Patient findet in ihnen Klänge und Rhythmen, in welche er die Erinnerung an eine starke und belebende Erfahrung kleiden kann."(Priestley, 1983, 144)

"Unsere Affirmationen sind vertrauensvolle musikalische Vergewisserungen, daß etwas tatsächlich so und nicht anders war, und unsere Feiern machen unseren Patienten mut, aufrecht zu stehen und sich dem Neid auszusetzen, ohne in manischer Weise bewundert und beneidet werden zu wollen."(Priestley, 1983,146)

Mary Priestley widmet sich in der Beschreibung ihrer Methode sehr differenziert dem Umgang mit Bestätigung. Bestätigung und die Förderung zu erweiterten Fähigkeiten stehen im Zentrum ihrer therapeutischen Bemühungen; hier herrscht nicht das Prinzip 'Zuckerbrot und Peitsche'.

Wie versteht Mary Priestley das Verhältnis von Musik und verbaler Sprache?

"Dem Strom der Musik können keine Worte folgen; die Musik auf die Ebene von Worten zu ziehen, hieße, ihr die Macht zu rauben. Musik ist eine vielschichtige Bewegung, die sich zusammensetzt aus wechselnden Tonhöhen, wechselnden Harmonien, subtilen Veränderungen in Rhythmus und Klangfarbe, und hinter all dem ist die unhörbare Musik, die alles trägt: der Herzschlag des Ausführenden." (Priestley, 1983, 217)

"Wie kann man mit Worten den Höhenflug des gemeinsamen musikalischen Erlebens wiedergeben, so daß dessen demütig machende, erhebende, schwermütige, stürmerische, schmelzende, geheimnisvoll friedliche und freudig jubelnde Qualitäten hinreichend deutlich werden?" (Priestley, 1983, 217)

"Nicht alle Improvisationen haben die von J.W. Redfearn beschriebene Qualität. Etwa 85 Prozent sind in keiner Weise bemerkenswert, wiewohl sie oft recht wichtige Einsichten begleiten. Manche sind, in musikalischer Hinsicht, geradezu katastrophal. In einem solchen Fall gibt der Patient dem Therapeuten nichts, woran dieser musikalisch aufbauen oder woran er sich halten könnte, und so stolpert der Therapeut dann von einem miserablen musikalischen Klischee zu nächsten, verzweifelt nach einem roten Faden suchend, der ihn leiten könnte. Das ist die Musik der Wüste, doch auch sie hat ihren Platz in der Forschungsreise. Es bedeutet etwas, solche Wüsten gemeinsam zu durchqueren." (Priestley, 1983, 218)

Der Musik schreibt Mary Priestley einen sehr hohen Stellenwert zu. Aber selbst wenn der Patient über lange Zeit keine für sie akzeptable Musik produzieren kann, vermag die Musiktherapeutin positive Aspekte in dieser Art zu Musizieren zu finden. An solchen Äußerungen zeigt Mary Priestley eine optimistische Haltung, deren Bedeutung für einen möglichst konstruktiven Umgang mit beeinträchtigten Menschen nicht unterschätzt werden darf.

Wie kann konstruktive Arbeit mit dem Widerstand in der analytischen Musiktherapie veranschaulicht und dargestellt werden?

Hierzu eignet sich vor allem folgendes Zitat, mit dem Mary Priestley ihre therapeutische Arbeitsweise und ihr musikalisches Verständnis zugleich in einer ansprechenden Weise zu beschreiben versteht:

"Ein Kollege von mir fragte, ob Musik überhaupt öde und ohne Poesie sein könnte. Ich denke, ja. Solche Musik dringt nicht in die Tiefe und führt uns nicht in Höhen, aber sie kann dennoch als wertvolle Matrix dienen, welche die Emotionen ''hält'' und damit bewirkt, daß sich Bilder und Erinnerungen einstellen. Es gibt sogar Musik, die eine Art ''Antimusik'' darstellt. Bei Patienten kann sie wie ein Pfropfen wirken, der die echte und lebendige Musik daran hindert, aus ihrem inneren Selbst emporzukommen. Antimusik ist eine Abwehr gegen Musik und als solche ebenso wirksam wie etwa Rationalisierung, welche Einsicht in unbewußte Impulse verhindert. Komponierte Antimusik kann ein nervtötender Hintergrund sein, der einen daran hindert, Tiefen und Höhen zu erfahren. Doch viele Menschen benutzen sie genau zu diesem Zweck; Sie soll die intensiveren, komplexeren Gefühle abblocken und das Gefühlsleben auf einem beruhigend platten Niveau halten, damit sie ihren alltäglichen Aufgaben nachgehen können. Diese Aufgaben nehmen ja einen Großteil der Zeit des durchschnittlichen Menschen in Anspruch und würden ihm außerordentlich schwerfallen, wenn er in ungewöhnliche Bewußtseinszustände versetzt wäre, die mit extremen Formen von Gefühlen einhergehen oder die ihm die Lösung unbeantwortbarer Fragen abverlangten ... Diese Art abwehrender Musik ist genau das Gegenteil dessen, was ich zu beschreiben versuche. "(Priestley, 1983, 218).

Findet sich im Musikverständnis von Mary Priestley eine spirituelle Dimension?

Bei Mary Prietley findet sich ein Musikverständnis mit einer Tiefendimension, die auch als spirituelle Komponente ihrer musiktherapeutischen Arbeit zu beachten ist. Dies soll am folgenden Zitat verdeutlicht werden:

"Wenn Therapeut und Patient zusammen improvisieren, kommt manchmal ein Augenblick, da sich die Qualität der Musik so verändert, daß sie das therapeutische Paar zu tragen beginnt. Der Therapeut hat dann vielleicht das Gefühl, die Musik sei bedeutender als sie beide, und schließlich hat er den Eindruck, daß ''sie ihn spielt''. Er ist nicht länger der Spielende, sondern er spürt, daß er zum Instrument geworden it. In einem solchen Augenblick tritt eine Bewußtseinsveränderung ein ... Aus einer solchen Erfahrung geht man verändert hervor; man hat einen Teil seiner einengenden Individualität verloren und das Gefühl einer größeren Dimension gewonnen. Gewöhnlich wird nach einer solchen Improvisation nicht viel gesprochen, hingegen wird oft ein Blick zwischen den beiden Spielern ausgetauscht, als ob sie sagen wollten: ''Wir wissen, wir sind dort gewesen''.
Wenn wir in diesem Zusammenhang über die zwei Arten der Zeit nachsinnen, die wir kennen, über die linear verstreichende Zeit und über das ewige Jetzt, dann würde ich sagen, daß wir diese rezeptiv-schöpferische Erfahrung in der zuletztgenannten Form zeitlichen Erlebens machen. Im Laufe eines langen Therapietages sind solche Momente - obwohl sie sehr intensiv sind - wahrhaft erfrischend. In diesen Augenblicken erschaffen nicht wir die Musik, sie erschafft vielmehr uns." (Priestley, 1983, 219)

Zusammenfassung

Die analytische Musiktherapie von Mary Priestley orientiert sich am Modell der Psychoanalyse. Mary Priestley orientiert sich in der Darstellung der analytischen Musiktherapie an psychoanalytische Autoren wie Sigmund Freud, Melanie Klein u.a. und orientiert sich in ihren Wahrnehmungsbemühungen insbesondere auch an den psychoanalytischen Begriffen der Übertragung und der Gegenübertragung. Mary Priestley beschreibt ihre Arbeit im Setting: Einzelfallarbeit. In der analytischen Musiktherapie nach Mary Priestley haben freie Improvisation (Priestley spricht auch von atonaler Improvisation) und verbales Gespräch ihren festen Platz. Die improvisierte Musik wird aufgezeichnet und anschließend gemeinsam mit dem Patienten bzw. Klienten noch einmal vom Band abgehört und besprochen. Die methodische Arbeit erfolgt in und mit der dyadischen Beziehung (Therapeut - Patient). Bei Aufnahme der Behandlung wird zunächst auf den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung geachtet. Der Klient wird zunächst gestützt und gehalten (containing). In der analytischen Musiktherapie geht es um den Umgang mit Gefühlen, angezielt wird, dass der Klient über die Musik einen Zugang zu nicht akzeptierten Gefühlen bekommt. Nachdem der Klient sich diese Gefühle in der Musik erlauben kann, wird auch die kognitive Verantwortungsübernahme für diese bislang abgewehrten und verdrängten Gefühle und Empfindungen im verbalen Gespräch angezielt. Stützender Halt(Containing), Vertrauensaufbau und Beziehungsarbeit sollen im Verlauf der Therapie die zunehmende Konfrontation mit abgewehrten Anteilen und deren Integration ermöglichen.


Quelle:
Priestley, Mary (1983) Analytische Musiktherapie. Vorlesungen am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke. Stuttgart: Klett-Cotta

Keine Kommentare:

 
blogoscoop