2006/06/09

Freiheit im Jazz kontrastierte zur rigiden Politik

Für Dieter Fränzel und Dietrich Rauschtenberger war und ist Jazz die Musik des großstädtischen Lebens.

In 'Hot und Swing in Tanzlokalen' zeichnen die beiden Autoren in detailreichen Weise ein lebendig heraustredendes Bild dunkler deutscher Vergangenheit:

Die „Goldenen Zwanziger“ waren spätestens 1932 vorbei, als die Nationalsozialisten Zugang zu den Studios erhielten. Im Mai 1933 kündigte der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels an, dass er alle Gebiete der Kunst für die nationalsozialistische Bewegung ins Auge gefasst habe.

Was nach Kant an vernunftorientierter Aufklärung gewonnen war, stand ab 1933 dem Willen dogmatischer Nationalsozialisten gegenüber.

Das Radio wurde zum Instrument gleichschaltender Massenbeeinflussung. Goebbels habe in diesem Jahr angekündigte, für die nationalsozialistische Revolution "vor keinem Gesetz, keiner Lehre, keiner Organisation, vor keiner Partei, ja, vor keinem Denken und Fühlen halt" machen zu wollen. (Zitat übernommen von Seite 25)

Und es erfolgte eine Umwertung der Werte.

Um dies zu erreichen wurde massiv an den politischen Registern gezogen und der Rundfunk dazu genutzt, gleichschaltend zu manipulieren.

Wer als Musiker nicht in der Reichsmusikkammer war, erhielt keine ’braune Karte’, Juden blieben außen vor und diejenigen, die nicht rechtzeitig emigrierten, starben später oft in nationalsozialistischen Konzentrationslagern.

Die Nationalsozialisten waren sich der Macht der Musik bewusst und steuerten auch hier mit der Aufstellung neuer Regeln und mit Verboten.

Den Nationalsozialisten war gerade der Jazz ’ein Dorn im Auge’. „Für das NS-Regime war das Swingtanzen wie Rauschgift, denn es ergriff vom Körper des Menschen Besitz, den die Nazi-Ideologen ja für ihre eigenen Zwecke einspannen wollten.“ (Fränzel, Rauschtenberger, 2006, 27)

Wir kennen bereits aus dem alten China die Praxis, bei Machtübernahmen nicht nur das Spielen der Musik der vorherigen Herrschaft zu verbieten und darüber hinaus womöglich noch die symbolträchtigen Musikinstrumente der alten Musik zu zerstören.

Im Nationalsozialismus wurde gerade das unkontrollierte Musizieren mit Misstrauen beargwöhnt. Ein Aktenzitat (zitiert a.a.O., 27): „die hot- und swing-Demonstrationen jugendlicher anglophiler Kreise in Hamburg inzwischen staatsfeindliche und reaktionär zersetzende Formen angenommen haben“.

Jugendlichen unter 18 Jahren wurde 1940 durch die ’Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend’ der Besuch von ’öffentlicher Tanzlustbarkeiten’ verboten.

Die verbliebenen Jazz Anhänger gerieten über die Musik in eine politische Gegenposition, denen die Autoren eine Ähnlichkeit mit den jugendlichen Protest-Gruppen der Nach-kriegszeit bestätigen:

„Daraufhin wurden private Partys veranstaltet, wo Jazz gespielt und dazu Spottverse gesungen wurden, die sich über Nazis, Soldaten und besonders über die unbeliebte Hitler-Jugend lustig machten. Die Strafmaßnahmen der Obrigkeit reichte vom Haare-Abschneiden, über “Schutzhaft“ und „Schulverweis bis hin zur Einweisung in Jugendlager.““ (a.a.O., 27)

’Musik mit verzerrten Rhythmen’, ’Musik mit atonaler Melodieführung’ und ’die Verwendung von sogenannten verstopften Hörnern’ wurden von Goebbels verboten. (vgl. a.a.O. 27)

Nationalsozialistisch geduldete Musik:

- „deutsche Tanzmusik“
- „arteigene Klänge“
- „mäßiger Gebrauch von Synkopen“
- „anständig geblasene Saxophone“

Doch was genau sollte nun aber nicht mehr geduldet werden? Was genau verstanden die Nationalsozialisten unter ’entarteten Musik’?

Die Autoren präsentieren u.a. folgende Umschreibungen für 'entartete Musik' im Nationalsozialismus:

- „Negermusik“, „entartete“ (Swing, Jazz)
- „gestopfte Hörner“
- „Schlagzeugorgien“
- „sinnlose Anwendung von Synkopen“
- „künstlerische Zuchtlosigkeit“
- „Verlotterung und Verschlampung im musikalischen Ausdruck“
- „unanständige Tanzformen“
- „Musik mit verzerrten Rhythmen“
- „Musik mit atonaler Musikführung“

In der Musik war es also vor allem die Freiheit des Jazz, die mit der Rigidität des Nationalsozialismus kontrastierte?

Einigen modernen Menschen erscheint die Freiheit vielleicht bereits als etwas Selbstverständliches. Jedoch ist sie das nicht, denn um Freiheit zu realisieren muss sie zuvor auch errungen worden sein.

Quelle:

Dieter Fränzel, Dieter; Rauschtenberger, Dietrich (2006) Hot und Swing in Tanzlokalen. In: Fränzel. E. D.; Jazz AGe Wuppertal (Hg.) Sounds like Whoopataal, Essen: Klartext Verlag. S.14-27 .

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