2006/04/11

Zur Kunst der (außer-)gewöhnlichen Reduktion von Komplexität

Die Auseinandersetzung mit beeindruckenden menschlichen Leistungen gehört sicher zu den besonders faszinierenden Beschäftigungen. Das menschliche Gehirn beeindruckt aufgrund seiner ungeheuren Leistungsfähigkeit. Das Gehirn vermag eine ungeheure Menge von Sinnesdaten in sinnvoller Art und Weise zu reduzieren.

Diese Fähigkeit imponiert und beeindruckt uns. Kinderaugen leuchten, wenn sie die Welt mit allen Sinnen entdecken. Wer sich diese Faszination, die mit der Erforschung und Entdeckung der Welt verbunden ist, zu erhalten vermag, verfügt über eine fruchtbare Quelle.

Philosophen, Künstler, Wissenschaftler tun sich gut daran, diese Quelle nicht versiegen zu lassen.

„Wie? Ist Wissenschaftlichkeit vielleicht nur eine Furcht und Ausflucht vor dem Pessimismus? Eine feine Notwehr gegen - die Wahrheit? Und, moralisch geredet, etwas wie Feig- und Falschheit? Unmoralisch geredet, eine Schlauheit?“ (Nietzsche, 2000 [Versuch einer Selbstkritik (1886)], 11)

“Im Grunde ist das ästhetische Phänomen ganz einfach; man habe nur die Fähigkeit, fortwährend ein lebendiges Spiel zu sehen und immerfort von Geisterscharen umringt zu leben, so ist man Dichter; man fühle nur den Trieb, sich selbst zu verwandeln und aus anderen Leibern und Seelen herauszureden, so ist man Dramatiker. (Nietzsche, 2000, 69)

“Die Verzauberung ist die Voraussetzung aller dramatischen Kunst. In dieser Verzauberung sieht sich der dionysische Schwärmer als Satyr, und als Satyr wiederum schaut er den Gott, d. h. er sieht in seiner Verwandlung eine neue Vision außer sich, als apollinische Vollendung seines Zustandes. Mit dieser neuen Version ist das Drama vollständig.
... Somit ist das Drama die apollinische Versinnlichung dionysischer Erkenntnisse und Wirkungen.“ (Nietzsche, 2000, 70 f.)

"Während das Hirn dem Menschen so ununterbrochen Beweggründe für sein eigenes Handeln vorgaukelt, enthält es ihm die wirklichen Entscheidungsprozesse vor. Erst der Vorstoß in die Welt jenseits des Bewusstseins offenbart, wie sehr der Mensch Sklave seiner Emotionen und Instinkte ist.
Dass aber das Bewusstsein so wenig Herr seiner Entscheidungen ist, erschüttert nicht nur den Glauben an die Macht der Vernunft. Es macht den Menschen auch anfällig für geschickte Verführung." (Traufetter, 2006, 160)

"Diese Hirnregion [ventromedialer präfrontaler Cortex] lässt sich [mit dem Neurologen Antonio Damasio] als eine Art Mittler zwischen Gefühl und Verstand deuten. Hier werden die Gefühle, die im limbischen System entstehen, mit den rationalen Erwägungen der Großhirnrinde verknüpft. ... Ohne diese Verknüpfung, das steht für Damasio fest, ist der Mensch wie gelähmt. Jede Entscheidung brauche einen emotionalen Anstoß. Aus purem Verstand heraus, könne der Mensch nicht Handeln." Traufetter, 2006, 161)


Quelle:

Nietzsche, Friedrich (2000) Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Frankfurt: Insel Verlag. [dort vorangestellt auf den Seiten 9-22: Nietzsche (1886) Versuch einer Selbstkritik]

Traufetter, Gerald (2006) Stimme aus dem Nichts. Hirnforscher entdecken die Macht der Intuition. In: DER SPIEGEL; Nr. 15, 10.4.2006, Seite 158-171.

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