Der Naturwissenschaftler Hermann von Helmholtz veröffentlichte 1862 die erste Ausgabe eines Buches, welches eine Brücke zwischen der physikalischen und physiologischen Akustik sowie der Musikpsychologie und Ästhetik errichten sollte. (vgl. Helmholtz, 1913, 1)
Ein wichtiges Element ist hier der Begriff der 'sinnliche Empfindung', sowie die Unterscheidung zwischen Geräuschen und musikalischen Klängen. Letztere werden von Helmholtz noch einmal differenziert in Ton und Klang.
"Ein musikalischer Klang dagegen erscheint dem Ohr als ein Schall, der vollkommen ruhig, gleichmäßig und unveränderlich dauert, solange er eben besteht, in ihm ist kein Wechsel verschiedenartiger Bestandteile zu unterscheiden. Ihm entspricht also eine einfache und regelmäßige Art der Empfindung, während in einem Geräusche viele verschiedenartige Klangempfindungen unregelmäßig gemischt und durcheinandergeworfen sind.
... Die Art solcher regelmäßigen Bewegungen, welche einen musikalischen Klang hervorbringen, haben nun die physikalischen Untersuchungen genau kennen gelernt. Es sind dies Schwingungen, d.h. hin und her gehende Bewegungen der tönenden Körper, und diese Schwingungen müssen regelmäßig periodisch sein. Unter einer periodischen Bewegung verstehen wir eine solche, welche nach genau gleichen Zeitabständen immer in genau derselben Weise wiederkehrt. Die Länge der gleichen Zeitabschnitte, welche zwischen einer und der nächsten Wiederholung der gleichen Bewegung verfließen, nennen wir die Schwingungsdauer oder Periode der Bewegung." (Helmholtz, 1913, 14 f.)
Als die drei Hauptunterschiede des Klanges werden aufgeführt:
1. die Stärke der Klänge (die Amplitude)
2. Tonhöhe (hängt nur ab von der Schwingungsdauer bzw. der Schwingungszahl)
3. die Klangfarbe (abhängig von der Art und Weise der Bewegung innerhalb jeder der einzelnen Schwingungsperiode)
(vgl. Helmholtz, 1913, 20-32)
Bei seiner wissenschaftlichen Betrachtung der aus harmonischen Obertönen zusammengesetzten Klänge knüpft Helmholtz an G. S. Ohm an:
"Es ist zuerst von G. S. Ohm ausgesprochen und behauptet worden, daß es nur eine einzige Schwingungsform gibt, deren Klang keine harmonische Obertöne enthält, deren einziger Bestandteil also der Grundton ist." (Helmholtz, 1913, 38)
Helmholtz bezieht sich bei dem Grundton auf die Schwingungsform, die er eine pendelartige Schwingung nennt, deren Klang keine weitere Zusammensetzung aus verschiedenen Tönen hören läß und die er eine 'einfache Schwingung' nennt. Es handelt sich dabei um eine Schwingung, die mathematisch als Sinuskurve beschrieben werden kann.
Nach Helmholtz ist der Begriff 'Ton' nur eingeschränkt zu verwenden:
"Wir beschränken ferner den Gebrauch des Wortes Ton durchaus auf den Klang einfacher Schwingungen, während Ton bisher meist in derselben Bedeutung wie Klang gebraucht worden ist." (Helmholtz, 1913, 39)
Diese enge Definition sollte nicht übersehen werden.
"Wir sprechen von Tonhöhe, welche nur einem einzelnen Ton zukommen kann, während einem Klang, streng genommen, verschiedene Tonhöhen zuzuschreiben sind, seinen verschiedenen Teiltönen entsprechend." (Helmholtz, 1913, 39)
Um das rätselhafte Wesen der Klangfarbe auflösen zu können, wirft Helmholtz die Frage auf, inwieweit die Unterschiede der Klangfarbe etwa auf die verschiedenartigen Verbindungen des Grundtones mit verschieden starken Obertönen beruhen. (a.a.O.)
Helmholtz erinnert den Leser daran, dass das Ohr solche Töne voneinander unterscheiden kann, welche verschiedenen Ursprung haben, also aus unterschiedlichen tönenden Körpern hervorgegangen sind und weist auf die die auditiv analytische Fähigkeit hin.
"... daß viele verschiedene Schallwellenzüge gleichzeitig sich durch den selben Luftraum hin sich fortpflanzen können, ohne sich gegenseitig zu stören, zweites, daß das menschliche Ohr die Fähigkeit besitzt, die zusammengesetzte Luftbewegung, welche durch mehrere gleichzeitig wirkende Tonwerkzeuge hervorgebracht wird, in der Empfindung wieder in ihre einzelnen Bestandteilen zu zerlegen." (Helmholtz, 1913, 40).
Während er in seinem Werk eine 'Theorie der Konsonanz und Dissonanz' aufbaut (vgl. R. Wachsmuth), betont Helmholtz, dass die meisten Luftbewegungen innerhalb des Gehörganges nicht periodisch sind.
"Von dieser Art sind wirklich die meisten Fälle, wo nur der Zufall verschiedene Klänge zusammengebracht hat, wo die Klänge nicht absichtlich zu konsonanten Akkorden musikalisch verbunden sind, und selbst wo musiziert wird, sind bei der jetzt herrschenden musikalischen Stimmung der Instrumente selten die Bedingungen genau eingehalten, welche erfüllt sein müssen, damit die resultierende Bewegung der Luft genau periodisch ist." (Helmholtz, 1913, 49)
"Aber es kann eine zusammengesetzte Klangmasse auch eine rein periodische Luftbewegung geben, dann nämlich, wenn alle Klänge, welche sich mischen, Schwingungszahlen haben, welche ganze Vielfache von einer und derselben Schwingungszahl sind, oder was dasselbe sagt, wenn alle diese Klänge ihrer Tonhöhe nach als harmonische Obertöne desselben Grundtones angesehen werden können." (Helmholtz, 1913, 49)
Helmholtz fragt, wie sich das Ohr einer solchen künstlich zusammengesetzten Luftbewegung gegenüber verhält und er kommt zu dem Ergebnis:
"Die Auflösung des Klanges in eine Reihe von Partialtönen beruht also auf derselben Fähigkeit des Ohres, vermöge deren es imstande ist, verschiedene Klänge voneinander zu trennen, und es wird in beiden eine Scheidung ausführen müssen nach einer Regel, die gar nicht darauf Rücksicht nimmt, ob die Schallwellen aus einem oder mehreren Tonwerkzeugen hervorgegangen sind.
Die Regel, nach welcher das Ohr die Analyse vornimmt, ist zuerst als allgemein gültig hingestellt worden von G. S. Ohm. ... Jede Luftbewegung nun, welche einer zusammengesetzten Klangmasse entspricht, ist nach Ohms Regel zu zerlegen in eine Summe einfacher pendelartiger Schwingungen, und jeder solchen einfachen Schwingung entspricht ein Ton, den das Ohr empfindet, und dessen Tonhöhe durch die Schwingungsdauer der entsprechenden Luftbewegung bestimmt ist." (Helmholtz, 1913, 54)
Helmholz bezieht sich explizit auf das Gesetz des französischen Mathematikers Fourier wenn er formuliert:
"Jede beliebige regelmäßig periodische Schwingungsform kann aus einer Summe von einfachen Schwingungen zusammengesetzt werden, deren Schwingungszahl ein-, zwei-, drei-, vier-, usw. mal so groß sind, als die Schwingungszahl der gegebenen Bewegung." (Helmholtz, 1913, 55)
Das Gesetz von Fourier transponiert Helmholtz in den Begriffen der Akustik:
" Jede Schwingungsbewegung der Luft im Gehörgang, welche einem musikalischem Klang entspricht, kann immer, und jedesmal nur in einer einzigen Weise, dargestellt werden als die Summe einer Anzahl einfacher schwingender Bewegungen, welche Teiltönen dieses Klanges entsprechen." (Helmholtz, 1913, 56)
Helmholtz befasst sich dann mit der Frage, ob die Zerlegung in einfache Schwingungen auch in der Außenwelt, also unabhängig vom Ohr, eine tatsächliche Bedeutung habe. Dies erfolgt, indem er aufzeigt , dass bestimmte mechanische Wirkungen davon abhängen, ob in einer 'Klangmasse' ein bestimmter Teilton erhalten ist oder nicht.
Helmholtz untersucht das Phänomen des Mittönens. Dabei beginnt er mit dem Beispiel des Knaben, der eine große und schwere Kirchenglocke in Bewegung zu versetzen vermag, und kommt dann zu weiteren Beispielen für Resonanzeffekte, mit denen etwa die Saiten eines Klaviers durch Ansingen in Schwingungen versetzt werden können, und es folgen weitere sehr interessante Beispiele u.a. mit Gläsern, Stimmgabeln, Membranen. Hermann von Helmholtz kommt nach Darstellung weiterer Experimente zu dem Ergebnis:
"Wir dürfen es also nicht für eine Täuschung des Ohres oder eine Einbildung erklären, wenn wir in den Klang einer einzelnen Note irgend eines musikalischen Instrumentes viele Partialtöne unterscheiden, wozu ich Musiker, trotzdem sie diese Töne selbst deutlich hörten, wohl zuweilen geneigt gefunden habe. ... Die wirklich objektive Existenz der Partialtöne läßt sich eben jeden Augenblick durch eine mitschwingende Membran, die ihren Sand emporwirft, erweisen." (Helmholtz, 1913, 82)
Hermann von Helmholtz zeigt gut nachvollziehbare Möglichkeiten zur Analyse von Obertönen auf, die auch für Menschen mit musikalisch ungeübten Ohr geeignet sind. Die Aufmerksamkeit des Beobachters wird dabei durch passende Hilfsmittel geleitet. Ab Seite 84 bietet das Kapitel 'Die Zerlegung der Klänge durch das Ohr' ausführliche Beispiele und es werden sinnvolle methodische Möglichkeiten aufgezeigt, die auch zur Schulung des Gehörs gut genutzt werden könnten!
"Für das Ohr dagegen liegen einem jeden Individuum Erfahrungen über die Zusammensetzung zweier oder mehrerer Klänge und Geräusche in ausgedehntem Maße vor, und die Fähigkeit, selbst sehr verwickelte musikalische Zusammenklänge in die einzelnen Stimmen der einzelnen sie hervorbringenden Instrumente zu zerlegen, kann von jedem, der seine Aufmerksamkeit darauf wendet, bald erworben werden."(Helmholtz, 1913, 111)
Aufgrund der Schönheit seines Werkes und der Einheitlichkeit seiner Darstellung erschien nach 50 Jahren eine im wesentlichen unveränderte 6. Auflage. Die Bedeutung seines integrativen Werkes kann als bahnbrechend eingeordnet werden, denken wir allein an die Auswirkungen auf den Instrumentenbau bis hin zu Helmholtz Einfluß auf die Entwicklung moderner elektronischer Musikinstrumente.
Das Potenzial des Werkes von Hermann von Helmholtz ist sicher noch längst nicht ausgeschöpft.
Auch der musikpsychologischen Forschung bietet Hermann von Helmholtz weiterhin fruchtbare Anregungen. Und dies gilt nicht minder für die Musikpädagogik und die Musiktherapie.
'Die Lehre von den Tonempfindungen' sollte im Original gelesen werden. Es lohnt sich. Der Brückenschlag zwischen Physik, Musikwissenschaft und Ästhetik fand manche fruchtbare Resonanz. 1948 setzte sich Jacques Handschin in 'Der Toncharakter. Eine Einführung in die Tonpsychologie' explizit mit Hermann von Helmholtz auseinder. In der 'Unterweisung im Tonsatz' von Paul Hindemith wird zwar nicht direkt auf Helmholtz verwiesen, doch erlauben dessen fundierte naturwissenschaftliche Argumente die vehement gegen die temperierte Stimmung gewählte Position von Paul Hindemith.
Abschließend sei hierzu noch verwiesen auf Helmholtz Beilage 'Anwendung der reinen Intervalle beim Gesang', in dem Helmholtz sich von der natürlichen Intonation der Sänger der Tonica-Solfa-Association sehr beeindruckt zeigt.
Literatur:
Hermann von Helmholtz (1913) Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik. 6. Aufl. (1. Aufl. 1862) Braunschweig: Friedrich Vieweg & Sohn.
Paul Hindemith (1940) Unterweisung im Tonsatz. I theoretischer Teil. (Erstauflage 1937) Mainz: Schott
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