2006/04/23

Der Weg von Shinichi Suzuki

"Ich möchte meinen, daß mit siebzehn die Grundlage meines Lebens gelegt wurde. Es war sozusagen mein Geburtsjahr, das Jahr, in dem ich Mensch wurde." (Suzuki, 1975,81)

"Es war das kleine Tagebuch Tolstojs. Ich nahm es ohne Nachdenken vom Regal und blätterte wahllos darin herum. Meine Augen fielen auf folgende Worte: 'Sich selbst täuschen ist schlimmer als andere täuschen'. Diese harten Worte durchbohrten mein Innerstes. Es war ein furchtbarer Schock, vor Furcht begann ich zu zittern und konnte mich kaum beherrschen. ... Tolstoj hatte gesagt, daß man sich selbst nicht täuschen darf und daß die Stimme des Gewissens die Stimme Gottes ist. Ich beschloß, in Übereinstimmung mit diesen Ideen zu leben. ...
Bereits damals nahm in meiner Vorstellungskraft das Bild von jungen heranwachsenden Kindern, die das wahre Wesen der Lebensfreude zum Ausdruck bringen, feste Formen an. So hat es sich zugetragen." (Suzuki, 1975, 82 f.)

"... ich hatte erkennen gelernt, welche Kostbarkeit Kinder im Alter von vier oder fünf Jahren darstellen, und ich sehnte mich danach, wie eins von ihnen zu sein.
Sie verfallen niemals der Selbsttäuschung.
Sie vertrauen den Menschen und kennen keine Zweifel.
Sie wisse, was Liebe ist, nicht aber was Haß bedeutet.
Sie lieben die Gerechtigkeit und befolgen genau alle Regeln.
Sie kennen keine Furcht und leben in Sicherheit.
So spielte ich mit den Kindern, um von ihnen zu lernen. Ich wünschte immer, die Sanftmut eines Kindes zu besitzen. In mir vollzog sich eine große Umwandlung, und ich glaube, daß in diesem Moment der Samen der Talenterziehung in mir gesät wurde, die mein Lebenswerk werden sollte.
Die meisten dieser reizenden Kinder würden am Ende zu erwachsenen werden, voller Mißtrauen, Verrat, Unehrlichkeit, Ungerechtigkeit, Haß, Elend und Trübsinn. Weshalb? Warum konnte ihre Erziehung die Schönheit ihrer Seele nicht bewahren? Irgendetwas mußte doch mit der Erziehung nicht stimmen? Damals fing ich an, in diese Richtung zu denken." (Suzuki, 1975, 83 f.)

"Ich habe schon früher erwähnt, daß ich mich hinsichtlich meiner Kunst als Interpret keinen Täuschungen hingab. Allerdings war ich mir noch nicht bewußt, daß nicht der Mangel an Talent die Ursache meiner Verzweiflung war, sondern meine Unwissenheit über die Notwendigkeit, es zu entwickeln. Ebensowenig wußte ich, daß es einfach das Ergebnis von vielhundertfacher Wiederholung ist, wenn man besser, edler und schöner spielt. ... Mein eigener Wunsch ging nicht dahin, Künstler zu werden, sondern die Kunst zu verstehen."(Suzuki, 1975, 95)

"Einstein war erst sechzehn Jahre alt, als ihm die Idee kam, die in der Folge die ganze physikalische Wissenschaft revolutionieren sollte. Er selbst sagte: 'Die Idee der Bewegungsoptik kam mir auf rein intuitivem Weg, und hinter dieser Intuition verbirgt sich die Musik als Triebkraft.'
So verbrachte ich die acht Jahre in Berlin glücklich in der Gesellschaft von Menschen hohen Verstandes, Gefühls und guten Willens." (Suzuki, 1975, 99)

„Menschen, die lebensbejahend, glücklich und heiter sind, auch wenn es nur oberflächlich ist, weil sie sich unaufhörlich der Vergänglichkeit des Lebens bewusst sind, die die Winzigkeit ihres Daseins im Universum erkennen, wenn solche Menschen gefragt werden, was der wirkliche Sinn des Lebens ist, so müssen sie mit Mozart antworten: ‚Ich lebe in der Liebe zu allen. Nur solch ein Leben ist lebenswert.’ (Suzuki, 1975, 102)

„Das wahre Wesen der Kunst erwies sich nicht als etwas Hohes und weit Entferntes, sondern war ein Teil meines gewöhnlichen täglichen Ichs. Schon die Art, wie man Leute begrüßt oder wie man sich ausdrückt, ist Kunst. Will ein Musiker ein guter Künstler werden, muss er zunächst ein besserer Mensch werden. Ist er so weit, wird sein Wert offenkundig in allem, was er tut, sogar in dem, was er schreibt. Kunst ist nicht irgendwo im luftleeren Raum zu finden, ein Kunstwerk ist der Ausdruck der umfassenden Persönlichkeit, des Gefühls und der Fähigkeit eines Menschen.“ (Suzuki, 1975, 103)


Quelle:

Suzuki, Shinichi (1975) Erziehung ist Liebe. Hallaar (Belgium) Nieuwmolen-Verlag.

Keine Kommentare:

 
blogoscoop