2006/02/06

Antwort auf Anfrage zu den laufenden Interviews

Sehr geehrte Damen und Herren,

tatsächlich befasst sich die Fragestellung mit den musiktherapeutischen Möglichkeiten in der sozialen Arbeit.

Im Rahmen der Befragung wird eine Bestandsaufnahme gemacht, die etwa das Spektrum der Möglichkeiten verdeutlichen kann.

Tatsächlich finden Sie in den dicken Handbüchern zur Sozialarbeit selten ein Kapitel über den Einsatz von Musik. Mit Glück finden Sie in den Stichwortverzeichnissen einige wenige Bezüge. In der Praxis findet sich jedoch deutlich mehr Einsatz von Musik. Ich selbst bin Sozialarbeiter und diplomierter Musiktherapeut und ich bin seit 1982 in der Sozialpsychiatrie tätig und mich interessiert die Eingliederung psychisch kranker Menschen in unsere Gesellschaft.

Von den Ursprüngen bin ich von der Forderungen der Psychiatrie Enquete der 70er Jahre geprägt. Natürlich hat sich inzwischen viel getan, allerdings ist der explizite Ritt auf der jeweils aktuellen Welle der neuesten Mode nicht mein Ding.

Mein pragmatisches berufliches Interesse besteht darin, den Einsatz kreativer Medien, den Einsatz von Musik in der sozialen Arbeit zu stärken. Durch den Mangel an Veröffentlichungen in der Literatur zur Sozialarbeit/Sozialpädagogik ist eine breite Exploration durchaus auch gerechtfertigt und angesagt.

Mich interessiert jede methodisch angelegte musikpädagogische und musiktherapeutische Arbeit. Ich selbst bin kein zugelassener Psychotherapeut sondern arbeite sozialpsychiatrisch.

Meine Klienten gehören nicht zu der Gruppe, mit der Psychotherapeuten einträgliches Geld verdienen können; im Gegenteil, wenn ich für eine(n) meiner KlientInnen einen Psychotherapeuten suche, erhalte ich eine wunderbare Vielzahl von Ausflüchten.

Meine Klienten leben überwiegend am Existenzminimum und leiden unter erheblichen Behinderungen durch ihre Erkrankung (Psychose). Sie leiden jedoch nicht nur an dieser Erkrankung selbst, sondern insbesondere auch an deren Folgen. Dazu gehören auch die Folgen der Behandlung, wie etwa medikamentöse Neben- und Langzeitwirkungen (Sexuelle Potenz, Gewichtszunahme, Einschränkungen der Beweglichkeit, etc.).

Hinzu kommen auch die Probleme, die beispielsweise jeder Gesunde hat, der arbeitslos wird und dann langsam die Leiter des sozialen Status hinunterrutscht. Gerade dann, wenn seine Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt eine normale Arbeit zu finden gering sind.

Gerade in diesem schwierigen Bereich der sozialpsychiatrischen Arbeit sind musiktherapeutisch praktikable Methoden gefragt. Immerhin gilt es die Tendenz zunehmender Morbidität zu vermindern, aufzuhalten oder umzukehren. Zu sprechen ist hier vom sozialen Rückzug, vom massiven Verlust kommunikativer und sozialer Fähigkeiten. Mit Zunahme der Depressivität steigt die Gefahr der Resignation, der Aufgabe bis hin zum Suizid.

Vor diesem Hintergrund dürfen wir auch den 'verminderten Antrieb’ nicht nur als eine biologisch bedingte Unabänderlichkeit missverstehen.

Diese Tendenz, sich aus kommunikativen Bezügen zu nehmen, sich sozial zurückzuziehen, sich zu isolieren, einfach im Bett liegen zu bleiben, Alkohol zu konsumieren und mit der Droge die als unerträgliche erlebte Welt zu vergessen, gilt es aufzuhalten!

Überzogenen Heilphantasien sind hier womöglich nicht besonders angezeigt. Dies gilt insbesondere , wenn der Helfer sich seine eigene Vitalität erhalten möchte.

GIM ist beispielsweise bei einem chronisch psychisch erkrankten Menschen einfach nicht angezeigt. Dennoch gibt es inzwischen eine große Zahl von praktikablen musiktherapeutischen Möglichkeiten, die einsetzbar sind.

Auf der anderen Seite sollten psychisch kranke Menschen nicht einfach über einen Kamm geschert werden! So kann die individuelle Leistungsfähigkeit in einem erstaunlichen Maße differenziert sein. Es gibt hervorragende Talente, es gibt Fähigkeiten und Teilfähigkeiten, die ausgesprochen beeindrucken können. Hier kann sinnvolle sozialpsychiatrische Arbeit ansetzen!

Auf einer qualifizierten Ebene liegt sicher die ressourcenorientierte, integrative und multimodale Arbeit (RIM-Konzept). Das ist zumindest mein Standpunkt, denn ich hier vertrete.

Doch zurück: Auch nicht jeder, der aus dem Erwerbsleben gefallen ist, verfügt deshalb über nur geringe Kompetenzen. Das Spektrum der Individuen ist sowohl bei den psychisch kranken Menschen wie auch bei den sogenannten gesunden Menschen ausgesprochen groß - und deshalb sollte auch das Spektrum der methodischen Hilfen sehr groß sein.

Sicher könnte auch die Frage nach der Berufsrollenausdifferenzierung gestellt werden. In Deutschland haben wir beispielsweise das Psychotherapeutengesetz. Wer dort hineinsieht, sollte sich mit dem Verständnis der Soziotherapie in dem Psychotherapeutengesetz auseinandersetzen. In diesem Bereich der Soziotherapie und insbesondere in der Gruppenarbeit liegen noch Chancen, die brachliegen. Diese gilt es in der Zukunft besser zu nutzen.

An diesem Punkt kommen wir aber auch zu dem Gerangel der unterschiedlichsten Interessenvertreter in den verschiedenen Berufsverbänden und Gremien. Eine sinnvolle Arbeit im Sinne der Qualitätssicherung ist gerade hier von nicht zu unterschätzender Bedeutung!

Auf der anderen Seite bietet die Verbandsarbeit natürlich auch Möglichkeiten, die ’anderen Bedürfnisse’ der Therapeuten, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen und Helfer auszuleben. Hier zu nennen ist die Frage nach dem eigenen Verständnis zu Macht, Rang, Anerkennung und Ehre.

Wer im Umgang mit dem Klientel womöglich auf Empathie Wert legt, kann vielleicht in der Gremienarbeit die Ärmel aufkrempeln oder gar so richtig die Ellenbogen zeigen.

So betrachtet, gibt es in der Gremienarbeit natürlich auch hervorragende Möglichkeiten, sich von der direkten Arbeit mit dem schwierigen Klienten zu erholen: sicher auch ein attraktives und auch statusbekömmliches Arbeitsgebiet.

Da Sie so hartnäckig nach meinem Forschungsinteresse im Zusammenhang mit der aktuellen Musiktherapeutenbefragung fragen, so kann ich zum derzeitigen Stand schon einmal sagen, dass es das Methodische, das pragmatisch Einsetzbare ist, was mich derzeit besonders interessiert.

Ich hoffe, Ihre Frage damit ausreichend beantwortet zu haben.

Mit besten Grüßen
Gerd Fierus
(Diplom-Sozialarbeiter, dipl. Musiktherapeut)

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