Wir wissen heute, wie wichtig gerade die frühen Jahre für die Entwicklung der Fähigkeiten eines Menschen sind.
Die Aneignung von Fähigkeiten bei Erwachsenen ist ein langwieriger Prozess verglichen mit der Lerngeschwindigkeit von jungen Menschen, die noch über Gehirne mit einer hohen Neuroplastizität verfügen.
Welche Reize in welcher Dosierung und welche Anregungen in welcher Kombination erscheinen uns angemessen, wenn Kinder mit ihren lernbereiten Gehirnen großgezogen werden sollen?
Mit welchen Fähigkeiten sollten diejenigen ausgestattet sein, die im Brennpunkt der Lernfähigkeit agieren?
In unserer Gesellschaft sorgen vor allem die Eltern für die Reize und Anregungen der Kleinsten, ab dem Kindertagesstättenalter kommen erst ausgebildete Erzieher und Pädagogen hinzu. Doch wenn Kinder das Alter für die Einschulung erreicht haben, sind bereits einige Weichen über die inzwischen erfolgte neuronale Vernetzung in den kindlichen Gehirnen gestellt.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich folgende Fragen zu stellen:
Wie hoch ist die Qualifikation, wie qualifiziert ist die durchschnittliche Ausbildung derjenigen Professionellen, die sich mit Kindern im lernfähigsten Alter befassen?
Frage 1: Welche Ausbildung, welchen beruflichen Status haben a) Eltern (0-3 Jahre alte Kinder), b) Erzieherinnen im Kindergarten und Profis in der Frühförderung (Kindergartenalter), c) Grundschullehrer, d) Lehrer im regulären Schulsystem, e) Hochschullehrer?
Frage 2: Über welche Fähigkeiten sollten die Förderer der sehr jungen und sehr lernfähigen Säuglinge und Kleinkinder verfügen?
Die Antwort auf Frage 1: Die längste Ausbildung und den höchsten beruflichen Status haben die in hohem Maße intellektuell geschulten HochschullehrerInnen.
Wie häufig arbeiten statistisch aber intellektuell hoch Geschulte mit Kindern im Kleinkindalter oder mit Säuglingen?
Es sind wohl eher relativ junge Leute mit relativ kurzen Ausbildungen, die die umfangreichsten Zeiten mit den jüngsten Mitgliedern unserer Gesellschaft zubringen. Über welches Fähigkeitsprofil verfügen jedoch diejenigen, die sich den Jüngsten so intensiv widmen?
Dominieren hier (etwa) die intellektuellen Fähigkeiten der 'alten Hasen'?
Dominieren hier (etwa) die Fähigkeiten, die von den Gehirnen hervorragender Geschäftsmänner und an wirtschaftlichen Handeln interessierter Menschen in langjähriger Einübung ausgebildet worden sind?
Die Antwort auf diese beiden Fragen lautet wohl eher: “nein“.
Was wäre wohl, wenn Säuglinge und Kleinkinder durch Intellektuelle groß gezogen würden?
Nun, dies war weder früher noch ist es heute üblich. Offenbar sind es andere Fähigkeitsprofile, die die Menschheit für den praktischen Umgang mit den Trägern der lernfähigsten Gehirne (Säuglinge, Kleinkinder) bevorzugt.
Wenn nun aber nicht die Intellektuellen die besten Förderer der jüngsten Gehirne sind, welche Fähigkeiten erscheinen dann bei Säuglingen und Kleinkindern besonders förderungswürdig?
Mechthild Papousek ermöglicht dieser Frage eine Antwort zu geben.
„Die Erforschung der musikalischen Frühentwicklung hat gezeigt, dass die elementaren musikalischen Wahrnehmungsfähigkeiten und Ausdrucksformen in der frühen Kommunikation aufs Engste mit der Regulation von Affektspannungen und emotionaler Befindlichkeit, mit Bewegungskoordination, vorsprachlicher Kommunikation und Sprachanbahnung, mit sozialer Kommunikation in Gruppen und mit dem Spiel als Grundform selbst bestimmten Lernens und kreativer Betätigung in Zusammenhang stehen.
…
Musiktherapie mit Kindern kann ihre Kraft und Wirksamkeit aus den biologisch verankerten musikalischen Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeiten des Kindes schöpfen und sich ihrer vielfältigen adaptiven Funktionen zunutze machen. Im musikalischen Dialog mit dem Kind kann es gelingen, je nach Indikation die Entwicklung von affektiver Verhaltensregulation, motorischer Koordination, emotionaler Bezogenheit, von kommunikativen Kompetenzen, Sprache und ausdauerndem Spiel therapeutisch zu unterstützen.“ (Papousek, 2005, 12f.)
Wenn wir aus den von Mechthild Papousek zitierten Worten eine Liste von Fähigkeiten destillieren, könnte diese wie folgt aussehen:
- (musikalische) Wahrnehmungsfähigkeiten
- (musikalische) Ausdrucksfähigkeiten
- kommunikative Fähigkeiten
- Fähigkeit, Affektspannungen zu regulieren
- Fähigkeit, die emotionale Befindlichkeit zu regulieren
- Fähigkeiten, Bewegungen koordinieren zu können
- Fähigkeiten der vorsprachlichen Kommunikation
- sprachliche Fähigkeiten
- sozial-kommunikative Fähigkeiten (nicht nur in der Dyade, sondern auch in Gruppen)
- Fähigkeit zum Spiel
- Fähigkeit zum selbst bestimmten Lernen
- Fähigkeit, sich kreativ zu beschäftigen
Die Ausbildung eines Fähigkeitsprofils dieser Art könnte durchaus als vorteilhaft erscheinen.
Quelle:
Papousek, Mechthild (2005). In: Plahl, Christine; Koch-Temming, Hedwig (Hg.) Musiktherapie mit Kindern. Bern: Hans Huber Verlag, Seite 11-13.
2006/08/31
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