2006/04/16

Zur Banalität des Erfindens

Ein verspielter Gedanke ermöglicht die Vorstellung, dass es nicht notwendig ist, fortwährend 'Neues' zu produzieren.

Statt dessen könnte auch einmal der Weg begangen werden, bereits formulierte treffliche Gedanken und Vorstellungen zu erkunden.

Zudem läßt sich auch die Vermutung hegen, dass eine ganze Reihe vermeintlich ‚originärer Gedanken' schlicht und einfach reformuliert worden sind aus zuvor vernommenen, dann aber wieder vergessenen Worten anderer.

Dieses ungetrübt zu generalisieren, erscheint in der Gestalt verspielten Unsinns. Doch erscheint die Altheit vermeintlich neuer Gedanken mit dem Abstand abgekühlten Denkens doch recht plausibel. Denn es sind nicht nur die anderen, die bei solchen Vorgängen ertappt werden können.

Fasziniert von diesem Gedanken lohnt es, sich mit gehaltvollen Aussagen anderer auseinanderzusetzen. Denn hier kann mancher Schatz gehoben werden. Indem treffliche von weniger gehaltvollen Gedanken geschieden werden, kann übermässige Komplexität sinnvoll reduziert werden.

Oft ist es auch weniger eine Antwort, sondern vielmehr ein vorteilhaftes Fragen, welches von besonderer Bedeutung erscheint. Dann wieder ist es die in geschickten Worten gekleidete Formulierung eines Problems.

Und selbst Probleme bedürfen nicht ständig einer Neuerfindung. Auch bei Problemen findet das Prinzip der Reduktion von Komplexität seine pragmatische Relevanz. Immerhin erscheinen viele Problemformulierungen bei näherer Betrachtung als übermässig konstruiert. Diese Erfahrung können Therapeuten gewinnen, die sich mit Menschen befassen, die an ihren eigenen kognitiven Konstuktuktionen verzweifeln und infolge resignieren.

Doch nicht jedes formulierte Problem führt zwangsläufig zum Energieverlust. Sehen wir uns ein Problem an, von Peter Glaser formuliert:

"Mit dem Begriff "Aphorismus" habe ich Probleme, weil Aphorismen immer etwas Losgelöstes anhaftet. Ich habe in meinem Text aber versucht, alles Fragmentarische zu vermeiden. Mir schwebte ein Text wie eine Schneekugel vor, ein ganz geschlossenes, transparentes System. - Aber ich liebe Lichtenberg, ein absolutes Vorbild für mich." (Peter Glaser im FAZ-Interview, 2002)

Der Betrachter mag an diesem Beispiel ein verallgemeinerungsfähiges Potential erkennen. Nicht nur ein Aphorismus, auch ein aus dem sinnstiftenden Kontext heraus gelöstes Zitat kann an konkreter Prägnanz verlieren. Ein minderprägnanter Kontext ermöglicht demnach Gehaltverlust und kann zur verringerten Präzison des ursprünglich Gemeinten führen. Ein klischeehafter Wortgebrauch verschleiert, erhöht die Kompexität und führt damit letztlich in die Irre.

Wir benötigen also einen geeigneten Kontext, um einen Gedanken zu intensivieren.

Was gehört zu einem potentiell relevanten Kontext? Nur einzelne Aspekte des Kontextes werden etwa durch ausdrucksstarker Betonung, Melos, Ausdrucksstil gestellt, doch darin erschöpft sich der Kontext einer Botschaft bei weitem nicht, bedenken wir auch das Zuvor und Danach und die die parallel wahrnehmbaren Ereignisse.

Mancher legt sehr viel Wert darauf, den Kontext um einen Gedanken herum zu gestalten. Doch erscheint es auch nicht ungeschickt, dem Empfänger ausreichende Möglichkeiten einzuräumen, den Kontext mitzugestalten. In einem kommunikativen Prozess kann die Einbahnstraße langweiliger Monologe verlassen werden.

Der Empfänger wird eingebunden. Ihm wird dann dabei nicht nur ermöglicht, sondern auch zugemutet, die Botschaft in seinem akuten geistigen Kontext zu stellen. Dabei wird der Rezipient in die Verantwortung der Wahrnehmung eingebunden. Die Gestaltung solcher kommunikativen Prozesse erfordern Mut, denn sie sind auch mit einem gewissen Kontrollverlust verbunden.

Doch kommen wir noch einmal auf das Interview mit Peter Glaser zurück. Peter Glaser verweist nicht nur auf die Bedeutung der aktuellen Zeit, ihm geht es darum, das aktuelle Zeitgeschehen auf einen Punkt zu bringen, einen Punkt, der anschlussfähig ist:

„Für mich war die Hauptarbeit an der Geschichte, einen Ton zu finden, der zu mir und zu unserer Zeit gehört. Ich hoffe, ihn getroffen zu haben.“(Peter Glaser im FAZ-Interview)

Was hier am Beispiel der Literatur vorgetragen wurde, kann auch hinsichtlich der Produktion 'Neuer' Musik refelktiert werden. Auch hier werden Anregungen geschätzt, des es ermöglichen, gestalterische Schaffensprozesse voranzutreiben.

Auch hier findet sich ein kontinuierlicher Diskurs über das 'Neue', und gemeint sind dabei nicht die seit jahrhunderten immer erneut gescheiterten Versuche das 'Neue' zu vereinnamen, indem eine bestimmte historische als die 'Neue Musik' etikettiert wird.

Oft wird erst im nachhinein tatsächlich Neues erkennbar. Und nicht immer war das zwanghafte Streben, Neues zu erschaffen, erfolgreicher Sieger im fortwährenden um Anerkennung und Geltung kämpfenden Prozess. Eine Rückbesinnung auf gehaltvolle Musik, ein Aufbau auf bereits sich bereits bewährter Musik besteht beispielsweise auch in der Tradition der Jazz Musik, in der Technik des Zitierens.

Ein anderes Beispiel bietet die musikalische Entwicklung auf der Grundlage technischer Innovationen. Hier bietet die kreative Entwicklung im Umgang mit der Sampler-Technik einen breit aufgegriffenen innovativen Strom innerhalb der elekronischen Musik.

Wer solche Prozesse ignoriert, ignoriert das in der konkreten historischen musikalischen Praxis sich entwickelnde Neue.

Hier helfen keine hilflosen Etiketten, das Einsortieren in Schubladen erfolgt ausserhalb einiger weniger autistisch anmutenden Bemühungen in der Regel jedoch im Nachhinein. Manche musikalisch Praxis orientiert sich eben nicht an überkommene Regeln und Traditionen. Letztlich wird dadurch Innovation oft erst ermöglicht.

Bereits Marshall McLuhan erklärte vor Jahrzehnten die Methode des Erfindens als bereits ausreichend analysiert. Der Prozess des Erfindens ist nicht mehr exklusiv als außergewöhnlich einzustufen. Das Erfinden ist demnach banal geworden. Dennoch gilt nach wie vor: Die Prognose, die Zukunft ist alles andere, jedoch nicht gesichert. Das allzu gierige Streben nach Originalität, verhindert womöglich dieselbe.

Manchmal tut es gut, einen Schrit zurück zu treten, einen gewissen Abstand zu gewinnen, bevor an der weiteren Gestaltung angeknüpft wird. Hier können wir auch von den bildnerisch Arbeitenden lernen.

Quelle der beiden Zitate: FAZ-Interview mit Peter Glaser

http://www.faz.net/s/RubCC21B04EE95145B3AC877C874FB1B611/Doc~EA4D201F9E582444DAE58E8D2B90E12D3~ATpl~Ecommon~Scontent.html

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