2011/07/15

Der freie Geist der Wissenschaft?


Der freie Geist setzt eine gewisse Unabhängigkeit voraus.   
  1. Wissenschaft sollte gekennzeichnet sein durch das Streben nach Wahrheit. Betrug und Täuschung ist eine andere Disziplin.
  2. Effektives und effizientes Arbeiten sollten auch in der Wissenschaft eine gewisse Bedeutung haben. 
  3. Da freie Forschung leicht beeinträchtigt werden kann, sollten auch die Veränderungen der strukturellen Bedingungen der Forschung sehr genau beachtet werden.  
Probleme, Skandale und Unzufriedenheit lösen öffentliche Diskussionen um den Umgang mit der 'Wahrheit' aus. Dies gilt umso mehr, da die Beziehung zwischen Wissenschaft und Wahrheit besonders eng ist. Der Anspruch ist hoch. Und der Einfluss der Wissenschaft auf das gesellschaftliche Leben wird  geschätzt. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat sich wieder auf die wissenschaftliche Praxis gerichtet. Die Diskussion um Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis hat einmal mehr gezeigt dass sich Politik und Wissenschaft unterscheiden. In der Wissenschaft funktionieren bestimmte Strategien  schlechter als in der Politik, in der die Halbwertszeit der 'Wahrheit' oft sehr viel kürzer erscheint. 

Wissenschaft wie Politik setzten auf Fortschritt, doch auch dieser ist in den beiden Disziplinen anders definiert. Eine Leitorientierung, wie die der Gewinnmaximierung, hat womöglich in der Wirtschaft ihren Platz, in der Wirtschaftswissenschaft, und das ist deutlich absehbar, nur ein passageres Plätzchen. 

Die Frage nach der veränderten Einschätzung der Bedeutung der Wirtschaftswissenschaft als wissenschaftliche Teildisziplin ist derzeit wohl eher ein Problem der außerwissenschaftlichen öffentlichen Diskussion. 

Der Kampf um Drittmittel an den Universitäten hat zwar auch viel mit den strukturellen Rahmenbedingungen der Wissenschaft zu tun, ist aber an sich weniger ein eigenständiges wissenschaftliches Problem, als vielmehr ein  Problem der Gefährdung der Freiheit der Forschung durch monetäre (außerwissenschaftliche) Steuerungsmechanismen. 

Nach der Finanzkrise werden die Begriffe 'Elite' und 'Wirtschaft' auch in der außerwissenschaftlichen Diskussion etwas weniger unreflektiert gleichgesetzt. Im öffentlichen Diskurs wird dort durchaus thematisiert, dass sich das wirtschaftliche Einkommen einer Vielzahl von Menschen von dem einer Einkommenselite unterscheidet. Auch dass die Wirtschaftskraft einer besitzenden Minderheit sehr viel höher ist als die Wirtschaftskraft der Mehrheit, ist im öffentlichen Diskurs durchaus geläufig. Eine tiefere wissenschaftliche Betrachtung dieser Verhältnisse steht erstaunlicherweise jedoch noch aus. 

Uwe Kamenz (Professor an der FH Dortmund) und Martin Wehrle (Journalist) kritisierten 2007 unter dem Titel 'Professor Untat. Was faul ist hinter den Hochschulkulissen' die strukturellen Probleme der deutschen Hochschullandschaft. 2011 führte der Diskurs um Betrug und Täuschung beim Titelerwerb von Doktoranden zu weiteren Diskussionen. Diesmal kam die Kritik von außen und Journalisten stocherten die Diskussion um die Werte in der Wissenschaft wieder an. Die bürokratische Struktur des Wissenschaftsbetriebs scheint eine Studie wert zu sein. Gerade der Blick von außen kann Schwachstellen eröffnen. Wie der Journalismus lebt auch die Wissenschaft von der Kritik. Wer kritisieren kann, sollte sich auch selbst der Kritik stellen. Das ist auch in der Wissenschaft so, denn kritisch zu sein aber ist das Prinzip der Wissenschaft.

Für den Wissenschaftstheoretiker und Autor von 'Logik der Forschung', Karl R. Popper, ist alles Leben Problemlösen. Für ihn ist die systematische Kritik, der Versuch das gemeinhin Geglaubte systematisch zu widerlegen, die sogenannte Falsifikation, das Kerngeschäft. Dadurch unterscheidet sich Wissenschaft auch von Religion und Ideologie. Die Logik der Forschung führte zum wissenschaftstheoretischen Ansatz des 'Kritischen Rationalismus'. Dahinter stand die Erkenntnis, dass eine Aussage über die Realität niemals endgültig bewiesen werden kann. Dieser Sachverhalt ist ganz offensichtlich auch nach über 50 Jahren weitgehend noch unbegriffen. Popper hatte aber den Weg aufgezeigt, Hypothesen ernsthaft zu prüfen. Seine Forschung war ausgezeichnet worden, da er in der Wissenschaft gewissermaßen Streu vom Weizen trennte, indem er der psycheudowissenschaftlichen Behauptung der Verfikation von Hypothesen die ernstzunehmendere Methode der Falsifikation von Hypothesen gegenüberstellte, womit er die Orientierung am Prinzip der Wahrheit für die Wissenschaft rettete. Die Wahrheit blieb das Markenzeichen der Wissenschaft, für Niklas Luhmann wurde sie sogar ihre Leitdifferenz. 

So hat die Abweichung von der Wahrheit mit Wissenschaft nicht mehr viel zu tun. Wer sich nicht an der Wahrheit orientieren möchte, sollte nicht unbedingt die Wissenschaft als Betätigungsfeld suchen.   

In ihrem Kern wird Wissenschaft aber auch schon angegriffen, wenn sie als Etikett missbraucht wird. Dabei geht es nicht nur um Etikettenschwindel. Die Tatsache, dass einer einen wissenschaftlichen Titel vor sich her trägt, sagt heute nichts mehr über seine  Glaubwürdigkeit. Umso mehr gilt: kritisch sein, heißt prüfen, was andere behaupten. 

Natürlich können die Statussymbole der Wissenschaft missbraucht werden. Das ist ein altes Problem. Eine Gesellschaft, in der die wissenschaftliche Ausbildung allmählich üblich wird, lässt sich allerdings nicht mehr so leicht übertölpeln. Die Bemühungen um die Sicherung von Pfründen zulasten einer ernstzunehmenden Forschungstätigkeit gehören zur bekannten Wissenschaftsgeschichte. Hinter einem Wissenschaftler steckt letztlich auch nur ein Mensch mit mehr oder weniger entsprechenden Schwächen. 

Wissenschaft ist auf lange Sicht aber letztlich immer ein innovativer dynamischer Prozess, bei dem sich die aktiv forschende Tätigkeit am wissenschaftlichen Codex orientiert. Das ist ein entscheidende Grund für die Erfolgsgeschichte der Wissenschaft. Der einzelne Wissenschaftler wird letztlich immer überholt. 

Das aktuell sehr starke öffentliche Interesse an der Wissenschaft hat eine wichtige Funktion und sollte für die strukturelle Gestaltung unseres wissenschaftlichen Betriebes vorteilhaft genutzt werden. 

Und vorteilhaft bezieht sich hier im Gegensatz zur Wirtschaft keineswegs auf die ökonomische Gewinnmaximierung. Eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Ziele der Wissenschaft ist gerade unter den Versuchen ökonomisch motivierter Einflussnahmen besonders gefragt. 

Um den strukturellen Rahmen zur Verbesserung von Effektivität und Effizienz unseres Wissenschaftssystems zu gestalten, sollten einige alte Fragen neu durchdacht werden:     

Wie funktionieren unsere Universitäten?
Wo liegen ihre  Abhängigkeiten?
Wie steht es um den Geist der Forschung?

In der aktuellen Ausgabe des Zeitmagazin werden sechs Wissenschaftler porträtiert. Welche Haltungen werden von diesen Wissenschaftlern transportiert?
  
Für Roman Inderst ist das Forschungsinterresse ein Statement wert: 
"Wer nur zu aktuellen Fragen forsche, komme oft zu spät. Man müsse seinen Interessen folgen und erforschen, was langfristig von Belang sei."  (Uwe H. Heuser In: Zeitmagazin, Nr. 29, 14.7.2011, S, 24)

Für Ulrich Schnabel hat wissenschaftliches Denken viel mit Lust zu tun, für ihn sind  Kreativität und kritisches Denken die einzigen Rohstoffe, über die Deutschland unbegrenzt verfügt. Sie müssen klug verwendet werden, darauf basiere unsere Ökonomie und auch ein Großteil unserer Kultur.“ (Ulrich Schnabel In: ZEITMAGAZIN, Nr. 29,, 14.7.2011, S. 14)

Für den Rechtsphilosophen Christoph Möllers ist Wissenschaft zunächst einmal ein Ruheraum für Reflexion. Nach Heinrich Welfing wünscht sich Möllers "eine Wissenschaft, die ergebnisoffen die Gesellschaft analysiert, auf eine Weise, die quer liegt zu den Erwartungen, die die Gesellschaft an die eigene Kritik formuliert." (ZEITMAGAZIN, Nr. 29, 14.7.2011, S.16)

Zu den Unterschieden im Wissenschaftsbetrieb der USA und Deutschland befragten Ulrich Schnabel und Martin Spiewak den den medizinischen Systembiologen Nikolaus Rajewsky und den Gen- und Krebsforscher Klaus Rajewsky:

"NIKOLAUS RAJEWSKY: Ich war manchmal verwundert. Deutsche Studenten ist sehr gut ausgebildet, meist besser als in den USA. Aber viele haben eine merkwürdige Schwäche: Es fällt ihnen schwer gut über ihre eigene Forschung zu kommunizieren – etwa wenn es darum geht, anderen zu erklären,  warum ihr Projekt wichtig ist; oder sich in einem Vortrag kritischen Fragen adäquat zu stellen.

KLAUS RAJEWSKY: Und dann gibt es in den USA weniger Autoritätsgläubigkeit. Wenn ich in Deutschland neue Mitarbeiter rekrutieren will, dann fragen die erst einmal: Was soll ich bei Ihnen bearbeiten? In den USA wissen alle, dass sie selbst gefordert sind. Man geht zwanglos miteinander um, spricht sich mit Vornamen an, Top-Wissenschaftler arbeiten mit ganz jungen Studenten. All das kommt der Wissenschaft zugute. Um etwas Neues herauszubekommen, ist die Titelhierarchie vollkommen irrelevant." (ZEITMAGAZIN, Nr. 29, 14.7.2011, S.22)

Der freie Geist der wissenschaftlichen Forschung ist eng verbunden mit Neugierde und Lust am Forschen. Seine Kraft schöpft er aus der Entdeckungsfreude und den Synergieeffekten einer aufbauenden Zusammenarbeit.  

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