2008/03/18

Santiago und Taugenichts

Im reflexiven Gedanken und orientiert an seinem persönlichen Lebensweg identifiziert der Jüngling Santiago, wie er nach einer eigenen Entscheidung mitgerissen wird vom Fluss des ...

"Die Entscheidungen waren nur der Anfang von etwas. Wenn man einen Entschluß gefaßt hatte, dann tauchte man damit in eine gewaltige Strömung, die einen mit sich riß, zu einem Ort, den man sich bei dem Entschluß niemals hätte träumen lassen."

Paulo Coelho knüpft in 'Der Alchimist' an eine Tradition an, die bereits Joseph von Eichendorff in 'Aus dem Leben eines Taugenichts' wiederbelebt hatte.

Doch wie lässt sich der Erfolg dieser beiden am Mythos orientierten Werke erklären?

Der Mythos bedeutet ursprünglich Wort, Rede, später Fabel, Sage. Der Mythos wird von Ralf Ludwig (2002, 20) gedacht als der schlichte Versuch der frühen Menschheit, die Welt gedanklich zu formen. Unter der enormen Spannung zwischen 'Mythos' und 'Logos' entfaltete sich die abendländische Kultur. Doch für Ludwig und die Leser des Taugenichts und des Alchimisten ist der Mythos noch nicht gestorben.

Für Ralf Ludwig hat Pythagoras und die pythagoreische Philosophie eine wichtige Funktion auf dem Weg vom 'Mythos' zum 'Logos'.

"An der Würdigung des Pythagoras scheiden sich die Geister. Die glühende Verehrung durch seine Jünger steht oft im krassen Gegensatz zu manch abschätzender Bewertung durch nachfolgende Philosophengenerationen. Und doch muss gesagt werden, dass nicht nur die Philosophie ihm viel Dan schuldet, auch die anderen Wissenschaften bekamen durch ihn und seine Schule wichtige Anstöße. Vor allem aber ist es die Unterscheidung zweier Wirklichkeiten, die er in dieser Form als Erster vertrat: die durch unsere Sinne wahrnehmbare und die von uns gedachte Wirklichkeit!" (Ludwig, 2002, 75)

Heute gehen viele davon aus, dass sich das rationale Denken über den Mythos erhob, aber auch, dass sich die Wissenschaft aus aus der Philosophie heraus differenziert hat. Doch nicht alle Menschen sind der Wissenschaft auf ihrem reinen und bescheidenen Weg Weg gefolgt.

Das könnte die Sympathie für Coelho's Santiago und Eichendorff's Taugenichts und die moderne Faszination für Musik und Kunst erklären: die Bescheidenheit der Wissenschaft, ihre Grenzen.

Einen Brückenschlag zwischen Mythos und Logos, einen Tanz auf dem Vulkan kennen wir auch von Friedrich Nietzsche, um die Sinnsuche bemühte sich Hermann Hesse und auch die psychoanalytische Therapie übernahm eine Rolle bei der Bemühung um die Reanimation des verlorenen Paradies. Der Jüngling Santiago in Paulo Coelho's Roman 'Der Alchimist' knüpft an an eine alte Tradition. Der Mensch hat sich offenbar noch nicht von seinen Mythen verabschiedet.

Literatur:
Coelho, Paulo (1996) Der Alchimist. Zürich, Diogenes.
Eichendorff, Joseph von (2001) Aus dem Leben eines Taugenichts. Stuttgart: Reclam.
Ludwig, Ralf (2002) Die Vorsokratiker. München: dtv.

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